Müll in den Meeren
Im Kampf gegen Plastik: Rettet ein Projekt aus Franken die Ozeane?
1.7.2021, 06:00 UhrDer "pazifische Müllstrudel" ist längst Sinnbild für das Problem des Plastikmülls in den Ozeanen – und nur einer von insgesamt fünf riesigen Plastikteppichen in den Weltmeeren.Jährlich landen weitere zehn Millionen Tonnen Plastik in den Ozeanen; 18 000 Plastikteile treiben auf jedem Quadratmeter Ozeanoberfläche – und mehr als 70 Prozent der Abfälle sind auf den Boden gesunken und in diese Berechnung nicht eingeschlossen.
Er sei vom Typ her "kein Grüner", gesteht Peter Bales. Seine Leidenschaft galt jahrelang dem Motorradrennsport, erst als Fahrer, später als Manager. Auf fünf Kontinenten war der Unternehmensberater unterwegs. Oft saß der heute 50-Jährige am Meer. "Da habe ich gesehen, wie überfordert die Menschheitsfamilie mit dem Thema Müll ist. Vor allem auch dort, wo Bildung nicht so selbstverständlich ist wie bei uns."
Bales sagte dem Müll in den Meeren den Kampf an – und fand in seinem langjährigen Freund, dem 53-jährigen Möbelhändler Herbert Hornung, einen Verbündeten. Im November 2020 gründeten sie in Würzburg das "Institut für Ozean-Plastik-Recycling" (IFOPR). Dieses ist jetzt auch für den WVV-Umweltpreis in Würzburg nominiert.
Von Fünfjahresplänen und langen Vorreden halten die beiden wenig, stattdessen drückten sie, wie sie erzählen, voriges Jahr sofort den Startknopf. Seither arbeiten sie auf Hochtouren an ihrem Pilotprojekt "Silicon Harbour", fanden erste Kooperationspartner, führten etliche Gespräche mit Entscheidern aus der deutschen Industrie, versuchen Vernetzungen zwischen Reedereien, Maschinenbaufirmen und Forschungseinrichtungen anzustoßen, nahmen erste Kontakte mit Entscheidern im Ausland auf und verstehen sich selbst als "Beratungsinstitut".
Darüber hinaus motivieren sie unermüdlich, sich mit dem Thema Plastikmüll auseinanderzusetzen und auch im Kleinen gegenzusteuern, so wie jetzt bei den ökosozialen Hochschultagen der Fachhochschule Würzburg – Schweinfurt.
Gleichzeitig denken sie selbst alles andere als klein. Mit Bales‘ Worten: "Ich denke in der gleichen Dimension, wie wir die Welt verschmutzen." Das Team hat es sich zur Aufgabe gemacht, einen Lösungsansatz gegen die Vermüllung der Weltmeere zu entwickeln. Zehn Jahre haben sie sich gegeben, bis der erste "Silicon Harbour" verwirklicht sein soll, der dann im besten Fall als Vorbild für Nachahmer weltweit dienen könnte.
Folgende Idee steht dahinter: Eine Art Supertanker mit einer maschinellen Vorrichtung an Bord pendelt hochfrequentiert zwischen Plastikteppich und IFOPR-Hafen. Der Rohstoff wird am Plastikteppich mit entsprechender Technik an Bord aufgegriffen, in Container gepresst und in den Hafen gebracht. In einer Recyclinganlage direkt im Hafen wird der Rohstoff Müll sortiert, gereinigt, bewertet und sortenrein zu Granulat verarbeitet. Kooperierende Unternehmen im an den Hafen angeschlossenen Industriepark beziehen das Granulat und verarbeiten es zu nachhaltigen Produkten vom Plastikstuhl bis zum Rucksack. Das alles geschieht an Ort und Stelle, um Transportwege zu sparen und den CO2-Abdruck entsprechend niedrig zu halten. Ein IFOPR-Siegel verschafft den Endkunden entsprechende Transparenz. "Wir brauchen Plastik im Jahr 2021", sagt Bales pragmatisch. "Es gehört aber nicht in die Umwelt."
Er nimmt auch in anderer Hinsicht kein Blatt vor den Mund: Viel eingesammelter Müll wird dennoch verbrannt werden müssen – schon Mischkunststoffe wie Chipstüten überfordern Recyclinganlagen, weil sie aus verschiedenen Plastiksorten bestehen und sich kaum trennen lassen. "Doch selbst dann könnte man daraus noch Öl und Wasserstoff machen", betont Bales. Das Treibholz in den Plastikteppichen ließe sich zu Holzpellets verarbeiten.
Bleibt die Frage der Finanzierung. Bislang tragen Bales und Hornung sämtliche Kosten aus eigener Tasche. Sie sehen das Institut als Non-Profit-Organisation und wollen eine gemeinnützige GmbH gründen. Wie es weitergehen könnte, beschreiben die Beiden auf ihrer Website: " Das Projekt wird vollständig durch öffentliche Fördergelder finanziert und unter Beteiligung von Instituten, Behörden und Unternehmen realisiert. Nach einem ersten Durchlauf und einer Bezifferung sämtlicher Prozesse und Ressourcen kann der Projekteinstieg der Industrie erfolgen." Gegebenenfalls könnte sich das Projekt zu einem Zuschussmodell seitens der Regierungen entwickeln, das mit Plastiksteuern refinanziert würde, denken die Institutsgründer zudem in die Zukunft.
Ende Juli werden Balles und Hornung nun nach Sierra Leone reisen, um dort ihre Ideen vorzustellen und Wissen auszutauschen. Da vier der fünf großen Plastikteppiche in Gewässern um Afrika schwimmen, betrachten sie die westafrikanische Küste als nicht ungeeignet für einen "Silicon Harbour". Dabei setzen sie vor allem auch auf gegenseitiges kulturelles Verständnis. Ein in Afrika platzierter Recycling-Hafen würde nur funktionieren, wenn die Bevölkerung ihn "zum eigenen Ding" machte – auch im Bewusstsein, dass neben dem reinen Umweltgedanken neue Perspektiven und Einkommensmöglichkeiten entstünden. Weitere mögliche Standorte, um das Pilotprojekt zu realisieren, könnten sich Balles und Hornung auch innerhalb Europas, etwa in Litauen, vorstellen. "Plastikmüll gibt es überall. Sobald ein Land Interesse signalisiert, sind wir da", sagt Hornung.
Noch keinen Lösungsansatz haben die beiden Freunde gefunden, um das Problem des Mikroplastiks anzugehen. "Das einzige, das hilft: Wir müssen Plastik schnell aus den Ozeanen rausholen, bevor Plastik zu Mikroplastik wird", sagt Bales. Oder, noch besser: Plastik einsammeln, ehe es überhaupt in die Meere gelangt. Hier setzen die Würzburger auf digitale wie reale Vernetzung und auf Aufklärung. Auf Sylt hatten sie vor kurzem Meeresmüll eingefangen, in einem Aufklärungsprojekt mit Jugendlichen der unterfränkischen Mittelschule Veitshöchheim gewaschen und dann zum Schreddern nach Karlstadt gebracht.
"Wenn ich irgendwann abtrete, will ich etwas getan haben, das dem Planeten gut tut", begründet der 53-jährige Herbert Hornung seinen Einsatz. "Ich muss sicher stellen, dass meine Tochter nochmal das schöne Meer sieht", sagt Peter Bales. Beide treibt der Generationenvertrag an.
Online abgestimmt werden kann noch bis einschließlich 13. Juli (www.wvv-umweltpreis.de)