Fall 12 von "Freude für alle"

Jedes Gramm zählt: Wie ein Gendefekt bei einem Fünfjährigen einer Familie im Kreis Roth zusetzt

Wolfgang Heilig-Achneck

Lokalredaktion

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24.11.2023, 15:00 Uhr
Bei Jonas ist ständig ein Piks in einen Finger notwendig, um - ähnlich wie bei Diabetes - Blutwerte zu messen. Der Junge leidet unter einem sehr seltenen GLUT-1-Defekt

© Wolfgang Heilig-Achneck, NNZ Bei Jonas ist ständig ein Piks in einen Finger notwendig, um - ähnlich wie bei Diabetes - Blutwerte zu messen. Der Junge leidet unter einem sehr seltenen GLUT-1-Defekt

50 Gramm gekochte Kartoffeln, ebenso viel von einer Nürnberger Rostbratwurst, und zwar in Bio-Qualität, 30 Gramm rohe Karotten, exakt sechs Milliliter Rapsöl, zehn Milliliter Schlagsahne und gerade mal fünf Gramm Butter: Wenn "Bratwurst und Püree" auf dem Speiseplan stehen, soll der kleine Jonas damit satt werden. Mutter Helga N. und Vater Manfred (alle Namen geändert) müssen bei allen Mahlzeiten für ihren Sohn penibel alle Mengenvorgaben einhalten. Er darf auf keinen Fall zuviel Eiweiß und Kohlehydrate erwischen, Fett dagegen ist weniger problematisch.

Wenn die Mischung nicht stimmt, geht es dem Fünfjährigen schlecht - und zwar im Handumdrehen. Denn der Junge leidet unter einem sogenannten GLUT-1-Defekt, ausgelöst durch eine sehr seltene Mutation in einem bestimmten Gen. Dadurch ist die Versorgung des Gehirns mit Blut, also mit Energie, beeinträchtigt - darauf dürften auch krampfartige Anfälle zurückzuführen sein, die Jonas vor gut einem Jahr erstmals gebeutelt hatten.

Überraschender Krampfanfall

"Es war bei einem harmlosen Spaziergang, als Jonas urplötzlich blau anlief, die Augen verdrehte, Schaum vor dem Mund hatte und merkwürdigt zuckte", berichtet die Mutter von der schockierenden ersten Erfahrung. Der Bub kam zur Beobachtung in die Kinderklinik, konnte aber bald wieder entlassen werden. Die Ärzte tippten auf einen Fieberkrampf, sahen aber noch keinen Grund zu größerer Beunruhigung. So ging das im vergangenen Frühjahr noch zweimal - bis im Sommer nach diversen anderen Proben auch eine genetische Blutuntersuchung veranlasst wurde - mit dem bedrückenden Ergebnis. Und der trüben Aussicht auf eine gehemmte Sprachentwicklung und Bewegungsstörungen.

"Leider sei das nicht heilbar und lasse sich auch nicht mit Medikamente behandeln oder lindern, haben uns die Ärzte erklärt", sagt der Vater. "Das hat uns die Sprache verschlagen." Nur über ein strenges Ernährungsprogramm sei es möglich, die Auswirkungen zu begrenzen und mit dem Gen-Defekt zurechtzukommen. Bei einem Spezialisten in Aschaffenburg ließen sich die Eltern mit der "ketogene Ernährungstherapie" vertraut machen. Seither verbringen sie oft Stunden am Laptop damit, Rezepte so umzusetzen, dass sie den genauen Vorgaben entsprechen. Selbst ein Produkt wie Frischkäse weist von Hersteller zu Hersteller unterschiedliche Fett- und Kohlenhydrate-Werte auf.

"Wahnsinnig aufwändig"

"Das ist wahnsinnig aufwändig, aber nicht zu vermeiden", meint der Vater. Und Jonas muss ähnlich wie bei Diabetes ständig gepikst werden, um Blutwerte zu messen. Und er muss das Programm voraussichtlich ein Leben lang durchhalten. Dabei ist es nicht damit getan, alles genau abzuwiegen und durchzurechnen. Für den Fünfjährigen wird auch alles jeweils extra zubereitet. Am besten ist es, die Spezialkost jeweils gleich in mehreren Portionen vorzukochen und einzufrieren.

Einfach die Ernährung der ganzen Familie auf den kleinen Jonas auszurichten, würde auch nicht klappen. Zumal es das Familienbudget sprengen würde, für alle nur noch Biokost und Produkte aus dem Reformhaus zu besorgen. Und angesichts der Dauerbelastung musste die Mutter ihre Berufstätigkeit aufgeben.

Die Nahrungszubereitung für den fünfjährigen Jonas ist extrem aufwändig. Der Junge leidet unter einem GLUT-1-Defekt. Für jedes Gericht müssen alle Zutaten exakt abgewogen werden.

Die Nahrungszubereitung für den fünfjährigen Jonas ist extrem aufwändig. Der Junge leidet unter einem GLUT-1-Defekt. Für jedes Gericht müssen alle Zutaten exakt abgewogen werden. © Wolfgang Heilig-Achneck, NNZ

Gilt es doch auch, über all der Sorge um Jonas ein weiteres Kind nicht zu vernachlässigen. So zeigt das Beispiel aus dem Landkreis Roth nicht zuletzt, dass und wie auch Familien aus dem Mittelstand in die Lage geraten können, kräftemäßig wie finanziell über Gebühr gefordert und belastet zu werden.

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