Kuriose Kür: Fränkisches Dorf sucht alljährlich die schönste Glatze
26.4.2021, 09:48 UhrExakt 142 Quadratzentimeter stehen derzeit zwischen einem Mann mit schütterem Haupthaar und einer Mitgliedschaft im Fränkischen Glatzenclub. Denn genau 142 Quadratzentimeter misst die Hand der Weinprinzessin Nadine I. von Neuses am Berg (Landkreis Kitzingen) – und die ist entscheidend für die Frage, ob die kahle Stelle auf dem Kopf nur ein lächerliches Löchla oder eine veritable Glatze ist.
Denn nur wenn die Glatze mindestens so groß ist wie die Handfläche der amtierenden Weinprinzessin von Neuses am Berg, darf man Mitglied werden im Glatzenclub. Echt muss die Glatze natürlich obendrein sein, nicht nur von einem Möchtegern-Kojak dreist herbeirasiert. Auch das überprüft die gestrenge Weinprinzessin, indem sie auf dem Haupt gegen die Haarwuchsrichtung streicht.
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„Bei unserer Glatzenprämierung werden da jedes Jahr Teilnehmer disqualifiziert“, erzählt Heinrich Stier, Geschäftsführer des Glatzenclubs. Manche könnten es eben einfach nicht erwarten, diesem illustren Club beizutreten. Dabei müssten sie einfach ein bisschen Geduld haben, denn „kommt Zeit, kommt Glatze“, wie Stier sagt.
"Neuseser Glatzen" ist eigentlich eine Weinlage
Dass Neuses zur Hochburg der fränkischen Glatzen wurde, hat viel mit Wein zu tun. Nicht, weil der den Haarausfall fördert. Sondern weil „Glatzen“ eigentlich eine alte Flurbezeichnung ist. Gerne erzählt man sich in Neuses, dass dort oben auf dem Berg, wo sich das Flurstück befand, seit jeher nichts wuchs – wie eben auf so manchem Haupt.
„Aber das stimmt so nicht, da gab es viele Obstbäume“, meint Stier. Vielmehr habe sich dort der Weiler „Lytzen“ befunden, aus dem im Lauf der Zeit und durch mundartliche Verfremdungen „Glatzen“ wurde. Als man 1971 nach einem prägnanten Namen für die 70 Hektar große Weinlage von Neuses suchte, die zuvor unter 30 verschiedenen Bezeichnungen firmierte, kam man auf „Neuseser Glatzen“. Schließlich hatte man schon einen „Katzenkopf“ und einen „Lump“ in der unmittelbaren Nachbarschaft und wollte mit Originalität punkten.
Stattdessen musste man zunächst viel Häme für die Namenswahl einstecken. Doch ab den 1980ern wurde der Mut belohnt und Grundlage einer Erfolgsgeschichte. Ein hessischer Glatzenclub war zufällig zu Gast auf dem Neuseser Weinfest, entdeckte den Glatzen-Wein und inspirierte die Neuseser, aus der Glatze ein echtes Markenzeichen zu machen.
Internationales Glatzentreffen in Franken
Schon 1983 wurde in Neuses ein internationales Glatzentreffen abgehalten. Gerade in Frankreich und Belgien sind größere Glatzenclubs verbreitet. Aber auch aus den Niederlanden, Luxemburg, Dänemark und der Schweiz kamen Abordnungen und ließen ihre lichten Häupter von fränkischer Sonne bescheinen.
Für die Neuseser war der Fränkische Glatzenclub, der 1993 offiziell gegründet wurde, zuallerst immer ein großer Spaß. Neu-Mitglieder werden bei einer feierlichen Zeremonie mit Neuseser Wein getauft, bevor die Platte ausgiebig poliert wird. Es folgt das andächtige Gelöbnis: „Ich gelobe, hier in Neuses am Berg unter freiem Himmel, künftig meine Glatze pfleglich zu behandeln, keine Haarwuchsmittel oder sonstige abartigen Essenzen mehr anzuwenden, außer Neuseser Wein.“
Wer Mitglied im Glatzenclub ist, steht zu seiner Platte. „Seit mir die Haare ausgegangen sind, haben mir die Frauen viel öfter zugelächelt. Man ist wer mit einer Glatze, man stellt etwas dar“, meint Karl-Heinz Erk, 17 Jahre lang Präsident des Glatzenclubs, sogar. Auch in Berlin oder Sankt Augustin bei Bonn hat der Glatzenclub Mitglieder.
Glatzenclubs aus dem Ausland kommen nach Franken
Alljährlich am Weinfest kommen die Glatzenbrüder aus nah und fern zusammen und es wird die schönste Glatze prämiert. Neben Länge und Breite der glänzenden Schädelstelle ist dabei das Aussehen des gesamten Kahlkopfes entscheidend. Zu dem Ereignis kommen regelmäßig Mitglieder der mehr als 20 Glatzenclubs im Ausland, zu denen die Franken über die Jahre Kontakte geknüpft haben.
Die Corona-Pandemie hat diese Kontakte nun abrupt abgeschnitten. Auch in diesem Juni muss das Weinfest wieder ausfallen. Deswegen klagt der Glatzenclub derzeit, wie könnte es auch anders sein, über Nachwuchsprobleme.
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