Lockerer Small-Talk
16.05.2003, 00:00 Uhr
Die Anzeige in einem Veranstaltungsmagazin hatte ihn neugierig gemacht: „Gehörlose Jugendliche würden sich gerne mit hörenden Jugendlichen treffen. Wir bringen euch die Gebärdensprache und das Fingeralphabet bei.“ Claus überlegte nicht lange und wählte die angegebene Telefonnummer.
Doch kurz, bevor er an diesem heißen Maiabend zum Treffpunkt an der Nürnberger Lorenzkirche marschiert, wird Claus unsicher: „Ich hatte schon etwas Schiss. Ich glaubte, dass ich der einzige Hörende bin.“ Ein Irrtum: Eine bunt gemischte Gruppe wartet auf ihn und entscheidet sich nach kurzer Diskussion zu einem Abstecher zum Biergarten an der Wörhder Wiese.
Organisatorin ist Monika Kuhbandner, die im Rahmen ihrer Ausbildung zur Erzieherin zur Zeit ein Berufspraktikum am Nürnberger Berufsbildungswerk für Hör- und Sprachgeschädigte (BBW) leistet. Das Thema ihrer Facharbeit ist die Integration gehörloser Jugendlicher — für den praktischen Teil dieser Arbeit war ihr die Idee gekommen, regelmäßige Treffen zwischen Hörenden und Hörgeschädigten sowie Gehörlosen vom BBW zu organisieren.
„Ich habe nur zwei Anzeigen aufgegeben und war erstaunt, dass sich gleich an die 20 Leute bei mir gemeldet haben“, sagt Monika Kuhbandner. Einigen sei es anfangs wie Claus ergangen, ergänzt sie: „Es sind schon Ängste und Unsicherheiten da.“ Das zeigt sich auch, als die Gruppe sich an einem Biertisch niederlässt. Neugierig und zum Teil etwas schüchtern beäugen manche einander.
Monika Kuhbandner klopft schließlich mehrmals laut auf den Tisch und alle Augen richten sich auf sie: Die 22-Jährige erklärt ein Kennenlernspiel, das gut ankommt. Und dann wird‘s ernst: Claus und die anderen sollen sich mit den schwerhörigen und gehörlosen Kids vom Berufsbildungswerk unterhalten.
Für Claus kein großes Problem: Der Small-talk mit Silke läuft ganz gut. „Ich hätte es mir schwerer vorgestellt“, stellt der 22-Jährige fest. Ihm kommt zugute, dass er sich beim Fingeralphabet schon ein bisschen auskennt. Der heutige Abend wird ihm auch beruflich nutzen, denn er lässt sich zum Hörgeräteakustiker ausbilden — ein Teil seiner Kundschaft ist gehörlos.
Doch sich mal eben schnell das Fingeralphabet einzuprägen oder dem schnellen Einsatz der Hände und des Körpers bei der Gebärdensprache zu folgen, ist für die Hörenden ein hartes Stück Arbeit. Das merkt auch die 17-jährige Franziska, die heute ebenfalls zum ersten Mal dabei ist. Ihr fällt die Unterhaltung mit einem Mädchen nicht so leicht. „Na, läuft‘s gut?“, fragt Monika Kuhbandner. Als Antwort erhält sie von beiden skeptische Blicke.
Um den Einstieg zu erleichtern, verteilt Monika Kuhbandner an die Neuen eine Broschüre mit Tipps zum Erlernen der Gebärdensprache. „Das Problem ist eben die Kommunikation“, meint Monika Kuhbandner. Ein Problem, das ständig gegenwärtig ist. Plötzlich steht eine Frau mit einer Zigarette in der Hand vor dem Tisch und fragt ausgerechnet zwei Jungen vom Berufsbildungswerk nach einem Feuerzeug. Die Jugendlichen reagieren nicht und blicken sie nur freundlich an. „Ich habe Feuer“, sagt schließlich Franziska und kramt in ihrer Tasche.
Trotz aller Anlaufschwierigkeiten erhofft sich Monika Kuhbander, dass sich allmählich Freundschaften entwickeln: „Aber das dauert noch. . .“ Die ersten Schritte sind zumindest schon getan: So sitzt Marco, der stolz darauf pocht, dass er „schon seit Anfang an dabei ist“, ganz selbstverständlich zwischen zwei Jugendlichen vom Berufsbildungswerk. Auch Claus und Franziska wollen wiederkommen. „Mir hat es gefallen, vor allem die Mischung der Leute finde ich gut“, sagt Claus.
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