Menschenhaare zu Filzpantoffeln

31.12.2002, 00:00 Uhr

Die insgesamt zehn Beiträge beschäftigen sich beispielsweise mit dem oft sehr geistlosen und unsensiblen Umgang mit jüdischer Kultur („Jewish Disneyland“) in jüngerer Zeit, mit dem Antisemitismus im unmittelbaren Nachkriegs-Deutschland oder den illegalen Ausbildungscamps für Holocaust-Überlebende.

Im Kapitel mit der Überschrift „Zwischen Integration und Ablehnung“ räumt Heike Scharf mit dem Urteil auf, dass das Verhältnis von Juden und Christen in Fürth ausnahmslos und in allen Zeiten vergleichsweise friedlich und ungetrübt war. Zeigt doch etwa ein Blick auf das Vereinsleben zwischen 1871 und 1914, dass es Zusammenschlüsse wie den „Antisemitischen Volksverein für Fürth und Umgebung“ wie auf der anderen Seite auch Organisationen zur „Abwehr von Verunglimpfungen des Judentums“ gab.

Stadt der Synagogen

Monika Berthold-Hilpert hat sich für das Jahrbuch auf die Spurensuche der zahlreichen Synagogen begeben, die Fürths herausragende Stellung im europäischen Judentum untermauerten.

Die wissenschaftliche Mitarbeiterin am Jüdischen Museum Franken schildert aber nicht nur die Situation am Gänsberg, wo sich mehr als 400 Jahre lang das religiöse Zentrum der Fürther Juden befand. Sie erwähnt auch eine Besonderheit jüngeren Datums in der Südstadt, die heute allenfalls als Fußnote in der Geschichtsschreibung taugt: die Jewish Chapel der US-Streitkräfte in der Darby-Kaserne.

Bis zum Truppenabzug 1996 war die Fürther Armeesynagoge immerhin „die einzige amerikanische Militärkapelle in ganz Europa, die ausschließlich für jüdische Gottesdienste genutzt wurde“. Von Fürth aus betreute ein Rabbiner seelsorgerisch alle jüdischen GIs in Nordbayern, und das sollen immerhin 1,5 Prozent der US-Soldaten gewesen sein.

Ein Abgrund des Grauens tut sich mit der Geschichte auf, die Peter Zinke recherchiert hat: die industrielle Verwertung der KZ-Opfer. Eine Spur führt nach Roth, wo aufschlussreiche Dokumente die Firma Alex Zink als eine der größten Abnehmer von Haaren ausweisen, die man Häftlingen und Leichen in den Todesfabriken abgeschnitten hat. Allein in Auschwitz wurden nach der Befreiung etwa 300 Papiersäcke mit 7000 Kilogramm Menschenhaar gefunden — „Rohware“ für die Teppich- oder Filzherstellung

Zinke fand zwar keine Zeitzeugen, die die Rother Verarbeitung in den letzten Kriegsjahren bezeugen wollten, aber eindeutige Belege. Nach seiner vorsichtigen Hochrechnung dürften allein aus acht Konzentrationslagern „mindestens 10 000 Kilo Menschenhaar nach Roth zur Firma Alex Zink transportiert worden sein, die Todesfabrik Auschwitz mal ganz außer Acht gelassen.“

Lange Zeit war das Bestimmungsziel für Haare ermordeter KZ-Häftlinge in Roth kein Thema. Dann bereitete Heimatforscher Ralf Rossmeissl eine Ausstellung mit dem Titel „Jüdisches Leben in Roth“ vor. In der ersten Version der Begleitbroschüre bezeichnete er Firmenchef Zink „als industriellen Ausbeuter des Massenmordes am jüdischen Volk, der aus Profitgier kühl berechnend . . . die industrielle Verwertung der Leichen“ organisiert habe. Der Historiker: „Wären sie nicht gestoppt worden, hätten sie am Schluss jedem schweigenden Bürger seinen Nachbarn als Filzpantoffel zum Aufwärmen verkauft.“

Der Begleitband erschien erst nach Ausstellungseröffnung und in einer korrigierten Version. Sicher sei nur, dass Haare Ermordeter in Roth angeliefert wurden, hieß es nun. Und: Wahrscheinlich sei die Filzfabrik zur Annahme bzw. Verarbeitung gezwungen worden. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Erben der 1973 in Konkurs geratenen Firma auf Rossmeissl und die Rother Stadtspitze nachhaltig Druck ausgeübt hatten.

Nurinst 2002: Beiträge zur deutschen und jüdischen Geschichte, Antogo Verlag Nürnberg, 148 Seiten, Preis: 12,80 Euro, ISBN-Nr. 3-9806636-4-7.