Musikprofessor Rainer Kotzian geht es mehr um Kunst

24.01.2012, 17:42 Uhr
Musikprofessor Rainer Kotzian geht es mehr um Kunst

© Hagen Gerullis

„Ich kann kein Stück so spielen wie zuvor“. gesteht er, „und das will ich auch gar nicht. Ich will in diesem Moment nur die Musik spielen lassen“, schwärmt er und gesteht im gleichen Atemzug, dass er über das exakte Geburtsdatum von Mozart erst nachdenken müsse.

Kotzian geht es mehr Kunst, weniger um Handwerk – in seiner wissenschaftlichen Sparte, der Elementaren Musikpädagogik, kann nur ein leidenschaftlicher Musiker ein guter Pädagoge sein. Mehr Experimentieren, mehr Entdecken – „nur so lernen Kinder Hören“ und könnten sich ausprobieren.

Ausprobiert hat sich auch Rainer Kotzian, nicht nur zwischen Pop, Jazz und Blasmusik – bevor er Ende 2010 mit 31 Jahren zum Professor in Nürnberg geworden ist. Sein Lebenslauf ist in den vergleichsweise wenigen Lebensjahren so lange geworden, dass allenfalls Schlaglichter daraus gepickt werden können.

Schon vor dem sechsjährigen Studium am traditionsreichen Mozarteum in Salzburg lernt er Gitarre und Trompete und spielt in Blaskapellen und Jazzorchestern. Obwohl seine Kindertage längst von der Musik geprägt waren, wollte Kotzian früher Pilot werden oder Bankberater, wie der Vater. „Ich war ein immer vernünftiger Kopf und wusste, dass es schwierig sein würde, von Musik zu leben“, erzählt er und denkt wohl an die Stunden auf der Bühne in einer Heavy-Metal- und einer U2-Coverband.

„Gleichzeitig wollte ich etwas tun, das mich berührt und nicht so vorbestimmt war.“ Eigentlich wollte der virtuose Musiker mit Platten und Eigenkompositionen weltberühmt werden, schult dann aber lieber über Musikprojekte seine Musikalität, übt das Unterrichten. Er studiert Musik und Tanz, E-Gitarre an der Jazzschule Berlin und über das Internet Texteschreiben. Und macht seine Leidenschaft zum Beruf. 2010 macht er die Hälfte seiner Einnahmen als Hochzeits- und Barmusiker, die andere durch Unterricht am Mozarteum – dann kommt das Lehrangebot aus Nürnberg.

Musikprofessor Rainer Kotzian geht es mehr um Kunst

© Hagen Gerullis

Durch die hohen Wände dringt eine Arie in den Seminarraum. Ein Mann schmettert von Sehnsucht und Verlangen. Aus einer anderen Ecke der Schule bahnen sich Trommelgeräusche ihren Weg. Rainer Kotzian löst den Schneidersitz und klopft mit dem Zeigefinger auf die Palisanderstäbe des Xylophons. Er nimmt eine Gitarre hinzu, improvisiert und spielt sie mit der einen Hand, das Xylophon mit der anderen. „Jetzt muss ich singen, weil ich schon beide Hände in Gebrauch habe“, prustet er, während sich seine Ohren langsam rot färben.

„Ich bin ein Mensch, der sich Zeit seines Lebens nicht auf ein Instrument festlegen kann“, gibt er zu. „Und ich bin auch kein Sänger.“ Das habe den Vorteil, die Technik eines Instruments nicht perfekt beherrschen zu müssen, vor allem „mehr Farbe zu haben“. Andererseits: „Mich hat es ziemlich lange beschäftigt, dass ich weder Trompete noch Gitarre ganz spielen kann“, sagt er kleinlaut. „Aber zum Komponieren war mir das irgendwann zu dünn.“



Es ginge nicht darum die Technik eines Instruments perfekt zu spielen – vielmehr sollte kein Musiker in Band oder Orchester nur auf sich selbst fixiert sein – sondern: Musiker müssen auf die Töne und andere Spieler hören. Das sei einer der elementaren Aspekte der Elementaren Musikpädagogik, meint Kotzian und plädiert dafür, dass jeder Musiker Schlagzeug spielen sollte – für mehr Taktgefühl.

Damit er sich beim Komponieren gerecht zu werden, hat sich Kotzian mit Wissen und Fleiß alle Instrumente so angeeignet, dass er seine eigene Band sein kann. Mit Xylophon, Gitarre, E-Gitarre, Trompete, Gesang und Schnipsen improvisiert er nun vorrangig mit sich selbst, entwirft Melodien und knüpft Klangteppiche. Mit einer Loop-Station, einer Art Aufnahme- und Abspielgerät, zeichnet er zusätzlich Geräusche und Gesang auf – um das dann in einer Wiederholungsschleife unter den Klangteppich zu weben.

„Denke ich an all das, was ich noch nicht geschafft habe, dann hab ich schlaflose Nächte“, gesteht er. „Man braucht sehr viel Zeit, um Ideen zu kriegen. Dann muss man aber auch dran- bleiben“, sagt er. Als Professor und Akademiker sei er viel zu oft an den Schreibtisch, an die Theorie, gefesselt. „Mir geht es eigentlich immer um Musik. Ich wünsche mir mehr Zeit, dann würde ich mich hinsetzen und meine Ideen ausarbeiten“, erzählt er. Für sein Pop-Rock-Album zum Beispiel, das er seit Jahren vor sich hinschiebt und das in diesem Jahr endlich fertig bespielt und veröffentlicht werden soll.

Auch seine Dissertation wartet noch auf ein derartiges Datum. „Ich konnte sie nie zu Ende bringen – konnte mich nicht hinter einen Schreibtisch klemmen und schreiben. Ich muss was machen“, sagt er – und entwirft lieber Materialien zur Musikerziehung von Kindern. „Schreibtischarbeit ermüdet mich. Die Kunst erreicht mich über das Gehör“, meint er. „Sie ist nur zu einem gewissen Grad auf Papier nachvollziehbar.“

Kotzian ist kein eremitierter Professor, kein altehrwürdiger Herr mit ergrauten Schläfen. Kein vereinzelter Spezialist, der nichts auf sein Fachgebiet kommen lässt. „Wir müssen die musikalischen Regularien und das anerzogene Musikwissen vergessen, um auf neue Dinge zu stoßen“, meint Kotzian. „Ein Musiker muss sich von der Musik überraschen lassen.“ Denn sie sei „eines der wenigen Phänomene, die zweckfrei geblieben sind“.

In einem Internet-Video unter www.nz.de/stadtleben zeigt Rainer Kotzian, wie viele Instrumente er gleichzeitig spielen kann. Dort finden sich auch alle weiteren Folgen unserer Serie „Erlebnis Wissenschaft“.
 

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