Neuer Prozess im Fall Peggy: Ulvi K. hofft auf Freispruch

8.4.2014, 10:16 Uhr

Ein schwergewichtiger Mann mit schütterem Haar schlürft in einem Bayreuther Café einen Erdbeershake. Obwohl der 36-Jährige das Gesicht in einem der rätselhaftesten Kriminalfälle Deutschlands ist, erkennt ihn niemand. «Nur manchmal spricht mich jemand an. Die Leute sind dann immer nett zu mir und wünschen viel Glück», erzählt Ulvi K. bereitwillig. Vor zehn Jahren wurde der geistig Behinderte als Mörder der neun Jahre alten Peggy aus dem oberfränkischen Lichtenberg zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt - von kommenden Donnerstag (10. April) an wird der Fall vor dem Landgericht Bayreuth neu aufgerollt. 

Die Schülerin Peggy war am 7. Mai 2001 letztmalig auf dem Heimweg von der Schule gesehen worden. Ihre alleinerziehende Mutter gab noch am Abend eine Vermisstenanzeige auf. Hundertschaften der Polizei durchkämmten die 1200-Seelen-Gemeinde Lichtenberg wochenlang. Sogar Kampfjets der Bundeswehr beteiligten sich an der Suche.

Bei der Polizei gingen 700 Hinweise ein - sogar von Auspendlern und Wahrsagern. Alle führten ins Leere. Die erste Sondereinheit musste ihre Arbeit ergebnislos beenden. Ein neues Ermittlerteam präsentierte dann den Lichtenberger Gastwirtsohn Ulvi K. als Mörder Peggys - von ihm war bekannt, dass er sich mehrmals vor Kindern entblößt hatte.

"Ich bin kein Mörder"

Nach dem Urteil aus dem Jahr 2004 tötete er Peggy, um einen vier Tage zuvor an ihr begangenen sexuellen Missbrauch zu vertuschen. Er soll dem Mädchen zunächst nachgerannt sein und ihm dann so lange Mund und Nase zugehalten haben, bis es sich nicht mehr rührte. Viele Lichtenberger glauben das bis heute nicht. Eine Anwohnerin erinnert sich daran, dass der «dickliche Ulvi» meistens «im Schneckentempo» durch den Ort gelaufen sei. «Ausgerechnet er soll das quirlige Mädchen verfolgt haben? Niemals!», meint die ältere Dame.

«Ich bin kein Mörder», sagt Ulvi K. immer wieder. Seine Strafe verbüßte der 36-Jährige aber auch noch gar nicht. Wegen sexuellen Missbrauchs an Kindern sitzt er seit rund elf Jahren in einer psychiatrischen Einrichtung. Inzwischen darf er mit seiner Betreuerin mehrmals in der Woche das Gelände für einige Stunden verlassen.

Verteidiger Michael Euler hält seinen Mandanten für ein Justizopfer. «Denn es ist nur schwer zu glauben, dass ein geistig Behinderter das perfekte Verbrechen begangen haben soll. Ohne Leiche. Ohne Spuren.» Der Jurist hat mehrere Aktenordner voll neuer Beweise in dem Fall zusammengetragen. 

Das Landgericht Bayreuth ordnete die Wiederaufnahme des Verfahrens aus zweierlei Gründen an: Ein wichtiger Belastungszeuge, der sich mit Ulvi K. in dem psychiatrischen Krankenhaus befand, hat seine Aussage im September 2010 widerrufen. Der mittlerweile verstorbene Mann hatte im ersten Prozess behauptet, Ulvi K. habe ihm das Verbrechen in der Psychiatrie gestanden. Dies sei aber eine Lüge gewesen, gab er später zu Protokoll.

Keine Anhaltspunkte ergeben

Außerdem war bei dem ersten Prozess nicht bekannt, dass die Ermittler den Tathergang aus ihrer Sicht schriftlich festgehalten hatten - ein Geständnis von Ulvi K. war nahezu identisch mit dieser sogenannten Tathergangshypothese. Später widerrief K. sein Geständnis. Verurteilt wurde er dennoch wegen Mordes.

Erst seit knapp zwei Jahren wird im Fall Peggy erneut ermittelt. Zwei Bekannte der Familie des spurlos verschwundenen Mädchens gerieten dabei ins Visier der Staatsanwaltschaft Bayreuth - einer von ihnen muss sich in Kürze wegen des Vorwurfs des sexuellen Missbrauchs an der Tochter seines Halbbruders vor Gericht verantworten. Ermittelt wurde zudem gegen einen anderen Lichtenberger - ein Mann, der ebenfalls bereits wegen Kindesmissbrauchs verurteilt wurde. Gegen keinen der Männer hätten sich aber bislang Anhaltspunkte ergeben, die für eine Anklage im Fall Peggy ausreichten, sagt der Leitende Oberstaatsanwalt Herbert Potzel.

Für den am 10. April beginnenden Prozess spielt das keine Rolle: «Es geht in diesem Prozess allein um die Frage, ob die Tat Ulvi K. nachgewiesen werden kann oder nicht», erklärt Gerichtssprecher Thomas Goger. Bei einem Wiederaufnahmeverfahren ist es eben so, als hätte der erste Prozess nie stattgefunden. Deshalb ist wieder Ulvi K. der Angeklagte und deshalb muss mit Ausnahme weniger Punkte auch exakt die gleiche Anklageschrift wie vor zehn Jahren verlesen werden. Sogar die Gutachter von damals sind wieder dabei.

Ausgerechnet kurz vor Prozessbeginn musste die Bayreuther Staatsanwaltschaft eine neue Panne bei der Aufklärung des rätselhaften Falls einräumen: Einem Verdächtigen war bei seiner Vernehmung kein Anwalt gestattet worden. Der dafür zuständige Staatsanwalt sei auf eigenen Wunsch von dem Fall entbunden worden, teilte Oberstaatsanwalt Potzel mit. Die letztlich entscheidende Frage bleibt unterdessen noch immer unbeantwortet: Wo ist Peggy?

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