Neues Buch befasst sich mit Konsequenzen aus dem Fall Mollath
12.11.2013, 09:28 Uhr „Gutachten ohne persönliche Untersuchungen, ohne ausreichende Datengrundlage, ohne schlüssige Nachvollziehbarkeit und Begründung sind der unerträgliche Alltags-,Standard‘ — leider gedeckt von Richtern, die nicht in der Lage oder gar willens sind, die Sachverständigen kritisch und kompetent anzuleiten, zu kontrollieren und zu prüfen.“
Der Erlanger forensische Psychologe und Psychotherapeut Dr. Rudolf Sponsel — einer der 17 Autor(inn)en des Bandes — beschuldigt zahlreiche seiner Berufskollegen, die psychiatrischen Gutachter, der „fast reinen Willkür“. In ihren Begutachtungen werde fleißig „gemeint, gemutmaßt, gewähnt, phantasiert, was das Zeug hält“ — statt auf klarer Grundlage eine Diagnose und Prognose zu stellen.
Der Chefarzt der Forensik im Bezirkskrankenhaus Bayreuth, Klaus Leipziger, war zunächst der Gutachter, der empfahl, Gustl Mollath in der Psychiatrie unterbringen zu lassen (wo der Nürnberger sieben Jahre lang blieb); später war er der Chef des Vollzugs, in dem Mollath saß, und schließlich gab der Chefarzt viele jährliche Stellungnahmen ab, ob der Patient dort weiter bleiben müsse. Sponsel hält dies für unerträglich; Befangenheit sei programmiert.
Gutachter vereidigen
Sponsel und der Nervenarzt Harald Rauchfuss setzen sich deshalb für eine Reform des Strafrechts, des Paragrafen 63 zur Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt, ein: Gutachten ohne persönliche Untersuchung, als Ferndiagnose, nur noch in Ausnahmefällen; wirklich externe Psychiater zur rascheren Kontrolle einer Entscheidung; Sachverständige sollten auf ihr Gutachten vereidigt werden. Die bisherige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat sich bereits für eine Reform ausgesprochen.
Dies kann auch als das Gute im Schlechten des Skandals benannt werden: Gustl Ferdinand Mollath (57) und seine Unterstützer haben durch bundesweites Aufsehen dafür gesorgt, dass Missstände aufgedeckt wurden und Justiz und Politik schließlich gezwungen waren zu handeln und Fehler zu korrigieren.
Dass es überhaupt so weit kam, ist auf journalistische Arbeit zurückzuführen. Michael Kasperowitsch, Redakteur der Nürnberger Nachrichten, hat den Skandal enthüllt, lange bevor überregionale Zeitungen in die Recherche einstiegen, und beharrlich und unbeirrt Fehlverhalten und Vertuschungsversuche aufgedeckt. Kasperowitsch zeichnet seine akribische Arbeit im neuen Buch nochmals nach.
Aus medienpolitischer Sicht bleibt zu konstatieren, dass sich bei überregionalen Magazinen der Trend eingebürgert hat, bewusst gegen die Entwicklung zu schreiben, wenn sie nicht zuerst auf einen Fall gestoßen sind — und dass Lokalblätter oft dazu neigen, Institutionen die absolute Unschuldsvermutung zuzugestehen, wenn sie sich vor Ort, beispielsweise in Bayreuth, befinden.
Dem Band, den die Soziologen Sascha Pommrenke und Marcus B. Klöckner als Herausgeber sachkundig und mutig zusammengestellt haben, liegt eine Erkenntnis zugrunde: Ob Mollath 2001 seine damalige Ehefrau tatsächlich geschlagen und 2002 viele Autoreifen zerstochen hat, spielt keine Rolle beim Befund, dass das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth 2006 unter schweren Rechtsverstößen litt und der Verdacht nicht ausgeräumt werden kann, dass Rechtsbeugung vorliegt und die Unterbringung unrechtmäßig war.
Strafrechts-Professor Henning Ernst Müller aus Regensburg verdeutlicht in seinem Buchbeitrag, dass die Causa Mollath nur in der außergewöhnlichen Häufung von Fehlern und wegen der politischen Brisanz ein Einzelfall sei. Es gelte nun, systematische und strukturelle Fehlsteuerungen in der juristischen Praxis zu korrigieren. Müllers Kollege Ernst Fricke hält fest: „Die bisher zugunsten von Mollath entschiedenen Verfahren haben schon Rechtsgeschichte geschrieben.“
Den Politikskandal beleuchtet der frühere Fraktionsvorsitzende der Landtagsgrünen, Martin Runge. Er hält der damaligen Justizministerin Beate Merk vor, dem Mollath-Untersuchungsausschuss in einem „Schweige-, Verschleierungs- und Lügenkartell“ der Politik wissentlich die Unwahrheit aufgetischt zu haben. Die Menschenrechtsbeauftragte der Bayerischen Landesärztekammer, Maria E. Fick, beschreibt, wie sie Merk schon 2012 beschwor, Mollath im Zweifel für den Angeklagten auf freien Fuß zu setzen — erfolglos.
Das Schlusswort hat Gustl Mollath selbst: „Macht braucht Kontrolle, wirksame Kontrolle.“ Er wartet auf sein Wiederaufnahmeverfahren und möchte wieder als Oldtimer-Restaurateur arbeiten.
Sascha Pommrenke, Marcus B. Klöckner (Hg.): Staatsversagen auf höchster Ebene. Was sich nach dem Fall Mollath ändern muss; 208 Seiten; Westend Verlag, Frankfurt 2013; 12,99 Euro.
1 Kommentar
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen