Heikle Lage in Bosnien und Herzegowina
"High Rep" Christian Schmidt: „Es geht um die Zukunft eines Landes und noch mehr“
29.12.2021, 05:50 UhrExzellenz“ oder kurz „High Rep“. So wird Christian Schmidt seit Anfang August offiziell genannt. Der ehemalige Bundeslandwirtschaftsminister ist Hoher Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft für Bosnien und Herzegowina. Weltpolitisch, vor allem mit Blick auf den Balkan, ist der 64-Jährige ein ziemlich einflussreicher Mann, der regelmäßig dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen berichtet, Gesetze erlassen, Behörden aus dem Boden stampfen oder sogar Minister entlassen kann.
Doch aktuell steht Bosnien und Herzegowina „vor der größten existenziellen Bedrohung“ der Nachkriegsperiode, wie es Christian Schmidt im November in einem Bericht an den Sicherheitsrat beschrieb. Dem gebürtigen Obernzenner stehen ungemütliche Monate in einem politischen Pulverfass bevor.
Gezielter Bruch der Verfassung
„Die Situation hat sich in den letzten Wochen noch weiter zugespitzt, weil einzelne Politiker gezielt mit Verfassungsbruch provozieren und ihre aggressive Rhetorik zur Aushöhlung der komplizierten Rechtsordnung nutzen wollen“, erklärt Christian Schmidt gegenüber der WZ. „Das heißt aber nicht, dass die Lage nicht wieder unter stabilisierende Kontrolle gebracht werden kann.“
Was ist passiert? 26 Jahre nach dem Friedensabkommen von Dayton (1995) werden Sezessionsbestrebungen des Landesteils Republika Srpska offen ausgesprochen. Dort leben überwiegend orthodoxe Serben. Mit dem anderen Landesteil, der Bosniakisch-Kroatischen Föderation (mit mehrheitlich bosnischen Muslimen und kroatischen Katholiken), bildet diese Bosnien-Herzegowina. Die drei Gruppen stellen je ein Mitglied im dreiköpfigen Staatspräsidium: aktuell für die Kroaten Željko Komšić, für die Bosniaken Šefik Džaferović und für die Serben Milorad Dodik.
Serbe stellt Schmidts Amt in Frage
Dodik erklärte im November: „Bosnien und Herzegowina hat keinen Hohen Repräsentanten mehr.“ Mitte Dezember hat Dodik nun konkrete Schritte zur Abspaltung eingeleitet – gedroht wird mit Rückzug aus der Armee, dem Justiz- und dem Steuersystem der Zentralregierung. Nicht nur für Christian Schmidt wäre damit eine rote Linie überschritten.
Ob der Obernzenner zum äußersten greifen würde, Dodik abzusetzen? Im Interview mit dem Deutschlandfunk wollte Schmidt jüngst nichts ausschließen. „Wenn es darum geht, den Frieden zu erhalten in dieser Region und in dem Land – das hat ja sofort Auswirkungen auf die Nachbarländer –, dann muss man alle Möglichkeiten in der Schublade und gegebenenfalls auf dem Tisch haben.“
Im November hatte der UN-Sicherheitsrat noch die Verlängerung der EU-Schutztruppe Althea um ein Jahr beschlossen, seinen Bericht persönlich dem Gremium vortragen durfte Schmidt nicht: Russland drohte, nicht einmal die Verlängerung des Schutzeinsatzes abzunicken, falls er sprechen dürfe oder sein Amt in der neuen UN-Resolution vorkomme.
Es war nicht das erste Mal, dass sich Russland in Sachen „High Rep“ sträubte. „Das ist alles immer hochkompliziert“, sagte Schmidt schon im Herbst bei einem Besuch in der WZ-Redaktion in Bezug auf die serbisch-russischen Verbindungen und die Folgen für die politische Lage in der Region. Russland wollte, dass der Sicherheitsrat über den Hohen Repräsentanten entscheidet und nicht wie bisher immer üblich der sogenannte Friedensimplementierungsrat, und war für eine nur einjährige Amtszeit für Schmidt ohne die „Bonn powers“, die weitreichenden Machtbefugnisse des „High Rep“. Der CSU-Politiker bekam Posten und Befugnisse, auch wegen einer „Werbetour von Angela Merkel auf allerhöchster Ebene“, wie Schmidt verrät.
Jede Woche in Sarajewo
Ob sein aktueller Job oder der des Landwirtschaftsministers bedeutender sei? „Da es bei einem um die Zukunft eines Landes geht und noch mehr“, sei das Amt des Hohen Repräsentanten etwas höher einzuschätzen, auch, weil es „nicht nur um einen Bereich wie Ernährung, Landwirtschaft und Umwelt geht, sondern bis in den Kern der Frage von Versöhnung und Beendigung von Krieg“. Auch der Personenschutz für ihn habe nun noch einmal eine andere Dimension. Es hat sich so ergeben, dass er tatsächlich jede Woche in Sarajewo vor Ort ist, sagt Schmidt.
Die Bundeszentrale für politische Bildung bezeichnet Bosnien und Herzegowina als „dysfunktionales politisches System“ mit „schlechten wirtschaftlichen Aussichten und hoher Arbeitslosigkeit“ und tief gespaltener Bevölkerung – „leider ist die Beschreibung richtig“, sagt Schmidt. In den ersten beiden Monaten seiner Amtszeit ist er viel gereist, besuchte auch alle Nachbarländer. Zu seinem Stab in Sarajewo gehören rund 100 Mitarbeiter aus den Abteilungen Recht, Politik und Wirtschaft.
Die Arbeit sei „unwahrscheinlich spannend und vielseitig“, wobei Schmidt auch von seinen Netzwerken als Sicherheits- und Verteidigungspolitiker – auch als Staatssekretär im Verteidigungsministerium – lebt. Den zuständigen US-Botschafter Eric Nelson kenne er aus dessen Zeit als Generalkonsul in München. „Ja, ich bin mit allen Staats- und Regierungschefs in der Region per du“, sagt Schmidt, „man kennt sich, ohne dass man Klüngel ist.“
Umstrittenes Gesetz von Inzko
Kurz nach Weihnachten sagte der 64-Jährige der WZ, dass es gelungen sei, „eine bessere Zusammenarbeit der internationalen Gemeinschaft“ zu erreichen. Eine Arbeitsgruppe werde sich „im Parlament mit der sehr komplizierten Frage der Verteilung des Staatseigentums befassen – eine Angelegenheit, die seit Jahrzehnten nicht geklärt ist und die Entwicklung des Landes blockiert“.
Christian Schmidt will auch an ein Gesetz ran, mit dem sein Vorgänger, der Österreicher Valentin Inzko, für viel Wirbel und Ärger bei Teilen der Bevölkerung gesorgt hat. In Kurzform: Die Leugnung von Kriegsverbrechen und Völkermord wurde unter Strafe gestellt. Schmidt kündigt gegenüber der WZ an, dass das Parlament „ein eigenes Gesetz, das europäische und internationale Standards achtet“, beschließen soll. „Wenn das gelingt“, das Gesetz in Kraft sei, wolle er Inzkos Gesetz annullieren.
Heikel und gefährlich sei die aktuelle Situation, sagt Schmidt. Aber: „Ich sehe keine Gefahr eines Bürgerkrieges wie 1992.“ Mit EU und Nato sei er sich jedoch einig, „ein beruhigendes Signal“ senden zu müssen. „Wir zeigen Aufmerksamkeit und Präsenz und werden Entscheidungen – beabsichtigt aus Dummheit und Verantwortungslosigkeit von örtlichen Potentaten – verhindern.“ Ziel müsse es immer auch bleiben, den oft gut ausgebildeten jungen Menschen berufliche und private Perspektiven im eigenen Land zu bieten. Auch wenn der Weg zur EU noch 14 wichtige Punkte weit weg sei, „wovon bisher kein einziger erfüllt ist“.
Zu jung für Rumsitzen mit Silvaner
So lernt Christian Schmidt weiter bosnisch, lächelt bei deutlich mehr Selfies in Kameras als noch als Bundesminister, nennt seine Heimatgemeinde Obernzenn seinen „Rückzugsort“ und vermisst schon jetzt den Bundestag ein bisschen. Warum er sich das neue Amt angetan hat und nicht als Ex-Minister noch eine lockere Periode im Bundestag sitzen wollte? „Diese Frage kann ich mir selber noch nicht richtig beantworten“, sagt Schmidt. „Vielleicht bin ich für Rotwein oder Silvaner und nur rumsitzen noch zu jung.“
Doch wie sehen Schmidts Ziele für die nächsten vier, die nächsten zehn Jahre aus? „Wir haben zehn Jahre verloren, das ist die eigentliche Wahrheit“, sagt der Hohe Repräsentant. „Die öffentliche Wahrnehmung ist: Wenn es nicht knallt, dampft und raucht, ist alles paletti. Aber da hat man nicht gesehen, dass sich Sachen in die falsche Richtung entwickelt haben.“ 2008 sei man „fast weiter als jetzt“ gewesen. Ein wichtiger Aspekt sei die Rechtsstaatlichkeit, „da werde ich mir nicht nur Freunde machen“, sagt Christian Schmidt. „Ich will aber nicht Politiker bekehren, es muss aus der Bevölkerung kommen. Die Zivilgesellschaft ist aber teils weiter als mancher grauhaarige Politiker.“
Den High Rep verzichtbar machen
Das hehre Fernziel sei dabei immer noch, Bosnien und Herzegowina so aufzustellen, dass „die Exzellenz“, der „High Rep“, nicht mehr gebraucht werden würde. Dann könnte sich Christian Schmidt auch vorstellen, dass diese Episode die letzte in seiner politischen Karriere wäre und er wieder so angesprochen wird, wie er es auch jetzt am liebsten hat: „Schmidt heiße ich immer noch.“
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