"Unglaubliche Mengen an Wasser"
Jetzt doch Katastrophenfall: Weitere Orte in fränkischem Landkreis überflutet
9.7.2021, 17:42 UhrEs sind schockierende Aufnahmen. Wassermassen bahnen sich ihren Weg durch Neustadt an der Aisch, braune Brühe umspült geparkte Autos, der Boden ist nur noch vereinzelt zu sehen. Das Video, das unserer Redaktion vorliegt, zeigt keinen Einzelfall. Der ganze Landkreis, sagen erfahrene Retter, säuft ab. "Wir zählen die Einsätze nicht mehr, es müssen Hunderte sein", sagt Rainer Weiskirchen, Sprecher der Feuerwehren im Landkreis. "Wir schauen nicht mehr, welche Wehren im Einsatz sind, sondern welche noch nicht." Bislang waren rund 465 Retter gefordert - am frühen Nachmittag waren noch Hunderte Einsätze offen.
Die Retter sind am Limit. Dabei ist noch nicht einmal der gesamte Landkreis, sondern nur einzelne Gebiete betroffen. Besonders schwer von den Unwettern getroffen wurde der kleine Ort Krassolzheim, gut 20 Kilometer westlich von Neustadt. Die Überschwemmungen seien massiv, sagt Weiskirchen - so massiv, dass mittlerweile das Technische Hilfswerk mit Sandsäcken anrückte. Auch aus dem Zenngrund, dem Ehegrund und der Gegend rund um Ipsheim meldet die Feuerwehr massive Überflutungen. In Wilhermsdorf fiel der Strom aus - warum, ist noch unklar. Vereinzelt schlossen auch Supermärkte. Im Berufsverkehr droht Bahn-Chaos, weil mehrere Strecken überspült sind. Von Bad Windsheim nach Neustadt etwa fahren aktuell keine Züge.
Seit etwa 15 Uhr stehen Teile von Emskirchen komplett unter Wasser. "Das kam erst jetzt dazu, weil es relativ weit im Osten liegt", sagte Weiskirchen von der Feuerwehr. "Wir haben das, was wir überall haben: Keller sind vollgelaufen, Straßen überflutet - es wird versucht, mit Sandsäcken das alles in die richtige Richtung zu leiten." Es gehe jetzt darum, Wege zu sperren und dafür zu sorgen, dass niemand in einer vollgelaufenen Unterführung eingesperrt wird.
Vorsorglich wurden alle Schulen geschlossen, der Unterricht vorzeitig beendet. Eine Notbetreuung sei eingerichtet worden, erklärte ein Sprecher des Landratsamtes auf Nachfrage der Nürnberger Nachrichten. "Die restliche Bevölkerung ist aufgerufen, soweit es möglich ist, zuhause zu bleiben und sich gar nicht auf die Straße zu begeben."
Bereits am frühen Morgen hat das zuständige Landratsamt die Einsatzkoordination übernommen. "Mit Wirkung um 10 Uhr gilt das sogenannte Großschadensereignis nach Katastrophenschutzrecht", sagte der Sprecher. Das sei nötig, um die Flut an Alarmierungen ordnen zu können. "Im Landratsamt greifen jetzt alle Rädchen ineinander." Zunächst habe man auf die Ausrufung des Katastrophenfalls verzichtet. Gegen 16 Uhr reagierte der Landkreis aber auf die Flut an Einsätzen.
Der Hochwassernachrichtendienst Bayern warnte am Freitag mit der höchsten Meldestufe besonders für die Landkreise Neustadt an der Aisch-Bad Windsheim und Ansbach. Es sei durch den Regen im Lauf des Tages mit "einem weiteren Anstieg zu rechnen", heißt es. Auch kleinere Gewässer könnten massiv über die Ufer treten und zu reißenden Flüssen anschwellen. Erst am Samstag dürfte sich die Lage entspannen.
Feuerwehr: Regenmengen sind "unglaublich"
"Wir haben einen Einsatzschwerpunkt, der sich entlang der B470 zieht", erklärt Weiskirchen von der Feuerwehr. Am frühen Nachmittag sei auch der östliche Landkreis dazu gekommen. Die Bundesstraße sei an vielen Stellen überschwemmt und nicht mehr befahrbar - ein Problem auch für die Feuerwehren, die sich laut dem Sprecher "genau überlegen müssen, wo wir hinfahren". Die Gefahr für die Retter sei groß, selbst vom Wasser eingeschlossen zu werden.
Auch Rettungsdienste stecken teilweise fest. Bei Reanimationen und Herzinfarkten musste mehrfach bereits die Feuerwehr einschreiten, weil das Rote Kreuz und der ASB große Umwege hätten fahren müssen. "Wir alle haben Defibrillatoren und sind in Erster Hilfe geschult", erklärt Weiskirchen. "Aber das bindet natürlich auch Manpower."
Ausmaß der Schäden lässt sich kaum abschätzen
Die Regenmengen seien "unglaublich", sagt Weiskirchen. Zahlreiche Autofahrer seien in Unterführungen gefahren und dort stecken geblieben. Man habe mehrere aus teils lebensgefährlichen Situationen retten müssen, so der Sprecher. "Dann sind natürlich die überfluteten Keller ein Problem." Auch Erdreich werde über die Bäche angeschwemmt. Zudem bedroht das Hochwasser auch Firmengelände, auf denen zum Teil Gefahrenstoffe gelagert werden.
Das genaue Ausmaß der Schäden lässt sich derzeit noch nicht abschätzen. Womöglich muss die Feuerwehr noch den ganzen Tag weiter ausrücken. Ein Problem, das noch kommen könnte, sind Heizöltanks, die vom Wasser aufgetrieben werden und umkippen könnten. "Wenn ich an Ipsheim denke, da war schon der ein oder andere leichte Geruch von Öl in der Luft", sagt Weiskirchen.
Auch anderswo in Franken kämpfen Orte mit schweren Überflutungen. In Heideck im Landkreis Roth wälzte sich ein kleiner Fluss durch den Ort und überschwemmte unter anderem den Festplatz. Bei Bamberg liefen die Baunacher Ortsteile Priegendorf voll Wasser, die Feuerwehr ist auch dort im Dauereinsatz. In Ansbach droht die Rezat über die Ufer zu treten.