Hilfe rund um die Uhr
Krisendienst Mittelfranken weitet seine Dienste aus
4.7.2021, 06:00 UhrWas einst bei Schäufele und Kloß mit Soße in Nürnberg als Idee geboren wurde, hat sich zu einem landesweiten Hilfsangebot für Menschen in akuten seelischen und sozialen Notlagen ausgewachsen. Der Krisendienst Mittelfranken (KDM), 1998 gegründet, wurde zum Vorbild. Seit März gibt es das Angebot in ganz Bayern, seit Donnerstag wird sogar eine tägliche Rund-um-die-Uhr-Versorgung gewährleistet, die Sozialpsychiatrischen Dienste übernehmen von Montag bis Freitag tagsüber in dringenden Fällen die Hausbesuche für den Krisendienst. Der Sozialpädagoge Ralf Bohnert, Mann der ersten Stunde und bis heute Leiter des in der Hessestraße 10 in Nürnberg ansässigen KDM, beschreibt die jüngste Entwicklung.
Vieles von dem, was Ralf Bohnert 2018 noch erhofft hatte, ist eingetreten. So hat der Freistaat das Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz verabschiedet. Dieses bescherte dem durch die öffentliche Hand finanzierten KDM – Träger ist der Förderverein Ambulante Krisenhilfe, allein der Bezirk Mittelfranken steuert jährlich rund 500.000 Euro bei – zusätzlich Geld. Das ermöglichte es dem KDM, personell aufzustocken und das Angebot zeitlich auszuweiten. 13 hauptamtlich Mitarbeitende – vor drei Jahren waren dies fünf – und rund 70 nebenamtlich beziehungsweise geringfügig Beschäftigte sind seit Anfang Juli im Einsatz.
So hatte der Krisendienst seit Januar 2020 seine Öffnungszeit zunächst von 60 auf 105 Wochenstunden erhöht, täglich von 9 bis 24 Uhr. Zwei Rufnummern führen zum KDM: die vertraute lokale 0911/424855-0 und die kostenlose, bayernweit einheitliche 0800/6553000.
Zur lückenlosen Erreichbarkeit auch in der Nacht kooperieren die Leitstellen Mittelfranken, Oberfranken und Oberpfalz. Telefonische Zusammenschaltungen ermöglichen es, dass Hilfesuchende oder deren Angehörige nun auch nach 24 Uhr kompetente, geschulte und erfahrene Gesprächspartner erreichen. Die unterliegen der Schweigepflicht und kümmern sich auch um anonyme Anrufer.
Türkisch und Russisch
Die Gründe der Betroffenen, zum Hörer zu greifen, sind unterschiedlicher Natur. Ängste, Depressionen, Trennung, Trauer, familiäre Konflikte, Gewalterfahrungen, Suchtprobleme und Selbsttötungsgedanken gehören dazu, sagt Ralf Bohnert. Die Gesprächspartner vom Krisendienst hören zu, versuchen die akute Situation zu entschärfen. Bei Bedarf vermitteln sie die Anrufer zu deren weiterer Unterstützung an geeignete Einrichtungen. Der KDM ist im Übrigen der einzige in Bayern, der auch Unterstützung in türkischer und russischer Sprache bietet.
Die Corona-Pandemie ist auch am KDM und dessen Klienten nicht spurlos vorübergegangen. Als umso wertvoller erweist es sich da, dass der Dienst sein Kontaktangebot schon 2019 auf weitere Kanäle ausgedehnt hatte. Über E-Mails und Chats ist seither auch Online-Beratung möglich.
Quantitativ habe sich im Coronajahr 2020 nicht viel geändert, sagt Bohnert. Rund 5000 Menschen hätten knapp 14.000 Kontakte mit dem KDM gehabt. Qualitativ registrierte er sehr wohl Verschiebungen. „Es gab Zeiten, da hatte jeder zweite bis dritte Anruf mit Corona zu tun“, eine Zunahme habe es vor allem im sozialen und psychosozialen Krisenbereich gegeben. Als Beispiele nennt er familiäre Auseinandersetzungen, Kurzarbeit und Existenzängste sowie Angst vor dem einsamen Sterben oder vor Ansteckung. Zunehmend betroffen seien jüngere Menschen gewesen, sie seien durch die Erfahrung von Einsamkeit und isoliertem Leben in eine „beengende, psychische Ausnahmesituation geraten“.
Umso wichtiger, dass der Krisendienst bald 25 Jahre nach dem kreativen Schäufeleessen besser aufgestellt ist denn je. „Jeder kann sich an uns wenden, einfach anrufen, direkt vorbeikommen und bei Bedarf machen wir Hausbesuche“, sagt Bohnert, auf Wunsch anonym und vor allem „niedrigschwellig, unbürokratisch und schnell“.
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