Von Rainer Winkler zum Drachenlord: Wenn virtueller Hass real wird
18 Bilder 4.3.2022, 18:47 Uhr2011: Der Drachenlord startet seine Karriere auf Youtube
2011 will Rainer Winkler auf der Videoplattform Youtube bekannt werden. In seinen Videos äußert er sich vor allem zu Metal-Musik und streamt und kommentiert Videospiele, die er spielt. Die Art und Weise seiner Videos ruft erste Kritiker auf den Plan, die entsprechende Kommentare unter seinen Videos hinterlassen und sich auch über ihn lustig machen. Diesen Kritikern widmet sich der Drachenlord besonders intensiv und versammelt so langsam eine Gemeinde von sogenannten Hatern, also Anti-Fans, in seinem Kanal. © Screenshot YouTube
Rainer Winkler
Rainer Winkler gibt unter anderem in seinen Videos auch Einblick in sein Familienleben. Er hat eine Schwester, sein Vater ist bereits gestorben. Seit vielen Jahren wohnt der heute 32-Jährige alleine in dem Elternhaus in Altschauerberg, das sichtlich heruntergekommen wirkt. Eine Tante und ein Onkel hielten lange zu ihm, haben sich aber zuletzt auch von ihm abgewendet. Er wurde nach seiner Aussage bereits in der Schule gemobbt, machte keinen Abschluss in einer Förderschule und bestritt nach seiner Schulzeit einige Jobs über eine Zeitarbeitsfirma. Seit 2011 konzentrierte er sich ausschließlich auf seine Youtube-Karriere. Seine Fan-Gemeinde begrüßt er zu Beginn seiner Videos immer mit "Meddl Loide". © Daniel Karmann/dpa, NNZ
2012 bis 2014: Der Hass entlädt sich
Der Drachenlord wird zum meistgehassten Youtuber Deutschlands. Der selbsternannte Internet-Star polarisiert. Zu seiner Gefolgschaft zählen vor allem Anti-Fans - und viele von ihnen, nur ein Paradoxon des Phänomens - finanzieren ihn, schon weil sie seine Videos klicken und dies für ihn bare Münze bedeutet. Doch die Kommentare unter seinen Videos werden immer bissiger. Der Drachenlord beißt verbal zurück. Es kommt zum virtuellen Schlagabtausch weit unter der Gürtellinie. © Drachenlord/Youtube
Die Zahl der Anti-Fans wächst
Der Drachenlord lässt sich mit jeder Frage provozieren und zu unüberlegten Antworten hinreißen. Dabei gibt er zum Beispiel preis, ob er schon mal sein eigenes Ejakulat probiert hat und wie er den Holocaust fände ("Ja, ein so ein Holocaust wär mal natürlich eine richtig nice Sache.") . Der Bewährungshelfer ist der Meinung, Rainer Winkler könne das Geschehen zwischen ihm und seinen Anti-Fans schon lange nicht mehr kontrollieren. Doch die Schuld sieht der "Drache", wie er sich selbst nennt, allein bei den Hatern, eigene Defizite will er nicht wahrhaben. © Screenshot, NNZ
Belastende Situation für das Umfeld
Auch für die Nachbarn und Bewohner des 40-Seelen-Dorfes Altschauerberg und die Gemeinde Emskirchen ist die Belagerung des Hauses vom Drachenlord eine enorme Belastung. Der Ort kommt nicht zur Ruhe. Er wird zur Pilgerstätte für Hater, Schaulustige und Mitläufer. © e-arc-tmp_20180821-141049-003.jpg, NNZ
19. August 2015: Drachenlord stellt öffentlich Heiratsantrag
Am 19. August 2015 stellte der Drachenlord der Nutzerin mit dem Pseudonym Erdbeerchen, die sich als seine Online-Freundin ausgab, einen Heiratsantrag auf der Live-Streaming-Seite YouNow, bei dem mehr als 4000 Personen zuschauten. Allerdings war diese Beziehung nur vorgespielt und Erdbeerchen erwies sich als Haterin. Zusammen mit zwei anderen Hatern, die nach dem Antrag bei Erdbeerchen ins Bild huschen, stellte sie ihn vor den Zuschauer bloß und brachte ihn damit zum Weinen. "Du bist der fetteste, dümmste Idiot, den ich je in meinem Leben gesehen habe", und zeigt ihm beide Mittelfinger. Viele Nutzer im Internet beschwerten sich über die Aktion und brachten den Hashtag #Drachenlord kurzzeitig auf Platz 1 der deutschen Twitter-Trends. Im Verlaufe seiner Laufbahn erhielt er auch weitere Fake-Anfragen. © Screenshot
2016: Drachenlord wird Opfer von Cyber-Mobbing und Swatting
Spielzeug, Digitalabos, getragene Socken, Schweineinnereien, Elektro-Artikel, Mützen mit dem Logo der Terrormiliz IS: Dies alles bekam der Drachenlord zugeschickt, ohne es jemals bestellt zu haben. Zudem wurden im Namen des Drachenlords Notrufe bei der Polizei abgesetzt, in denen die Rede von Feuer oder Notsituationen war und ein Großaufgebot an Einsatzkräften auf den Plan rief. Die sogenannten Swatting-Anrufe und Bestellungen gingen auf einen damals 24-jährigen Mann aus Niedersachsen zurück. Zur Last gelegt wurden dem Angeklagten unter anderem: das Ausspähen und die Fälschung von Daten, Betrug durch illegale Warenbestellungen mit geklauten Kreditkartendaten im Gesamtwert von mehreren zehntausend Euro, der Besitz und die Verbreitung von Kinderpornografie, Volksverhetzung, der Missbrauch von Notrufen – und Cyber-Mobbing. Er wurde zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Hier geht's zum Artikel über den Gerichtsprozess. Hier geht's zum Artikel über Cyber-Mobbing und Swatting. © Roland Fengler, NNZ
Der Drache verschanzt sich in der Drachenschanze
Das Zuhause des Drachenlords ist sein Arbeitsplatz und Wohnort in einem. Das Gelände, seine "Drachenschanze", verlässt der Youtuber so gut wie gar nicht mehr. Nahezu ständig wird das Haus von Hatern und Schaulustigen belagert. Immer wieder lässt sich der "Drache" provozieren und begeht Körperverletzungen, die vor Gericht enden. Auch Polizeibeamte beleidigt er vor laufender Kamera und stellt die Videos ins Netz. Sein Strafregister wird lang: Bis 2020 liegen mehrere Anzeigen von Polizeibeamten wegen Beleidigung und Körperverletzungen von Hatern auf dem Tisch der Justiz. Im Juni 2019 fügt er einem Eindringling so schwere Verletzungen zu, dass er vom Gericht wegen schwerer Körperverletzung zu 7 Monaten auf Bewährung verurteilt wird. Auch die Anti-Fans erhalten zahlreiche Anzeigen von der Polizei wegen Hausfriedensbruch, Ruhestörung und erhalten Platzverweise. Hier geht's zum Artikel über den Gerichtsprozess 2020 gegen einen Anti-Fan. © ToMa/Reitmayer, ARC
2018: Der unrühmliche Höhepunkt: Das Schanzenfest
Am 20. August versammeln sich 600 bis 800 Hater zu einer Hass-Demo in Emskirchen, um sich vor der Drachenschanze zu versammeln. Die Polizei rückt mit einem Großaufgebot an und riegelt Altschauerberg ab. Hier geht's zum Artikel. © NEWS5 / OÃ?wald, NNZ
Anti-Fans provozieren Drachenlord weiter
Farbbomben, gammelige Eier, Tierkadaver, Spucke: Es gibt nicht's, was noch nicht auf dem Gelände des Drachenlords gelandet ist - oder auf dem Drachen selbst. Der Ort kommt keinen Tag und keine Nacht mehr zur Ruhe. Die Polizei ist im Dauereinsatz. Hater haben eigene Webseiten und Kanäle gegründet, um ihren Hass und das Mobbing im Netz weiter voranzutreiben - und Rainer Winkler spielt das Spiel mit. Es heißt jetzt "Drachengame". © David Oßwald/dpa
2021: Hater manipulieren GoogleMaps
Hater hatten es 2021 offenbar geschafft, die Straßennamen in Altschauerberg und der unmittelbaren Umgebung auf dem Navigationsdienst Google Maps zu manipulieren. Die eigentlichen Straßennamen wurden ersetzt durch Haidergasse (Haider ist ein anderer Begriff für Hater), Lügengasse oder Freundin-Ausdenken-Weg. Hier geht's zum Artikel. © Screenshot Google Maps
2021: Hater bringen Bild von Drachenlord in Verbindung mit Kongsberg-Attentäter
Mittlerweile haben sich manche Hater es zur Hauptbeschäftigung gemacht, den Drachenlord zu mobben. Und sie verdienen ihrerseits wieder Geld damit, weil die Videos geklickt werden. In der norwegischen Kleinstadt Kongsberg tötet ein Mann im Oktober 2021 fünf Menschen und verletzt zwei weitere. Noch während die Suche nach Hintergrund und Motiv der Tat läuft, verbreitet sich bereits eine Falschmeldung im Netz. Ursprung sind Hater des fränkischen YouTubers Drachenlord, die ein Bild von Winkler mit Pfeil und Bogen in Zusammenhang mit dem Täter veröffentlichen. Hier geht's zum Artikel. © Screenshots Twitter
21. Oktober 2021: Der Drachenlord steht erneut vor Gericht
Am 21. Oktober 2021 wird der Drachenlord vom Amtsgericht Neustadt/Aisch zu zwei Jahren Gefängnisstrafe verurteilt. Er hatte gegen Bewährungsauflagen verstoßen. Über den Prozess berichten Medien aus ganz Deutschland. Der Youtuber hat sein Elternhaus verkauft. Und er kündigt an, Altschauerberg zu verlassen. Auch wolle er die Aktivität auf Youtube stark reduzieren. Hier geht's zum Artikel. © NEWS5 / OÃ?wald, NNZ
Hater verfolgen Prozess im Gerichtssaal
Ein Teil der Anti-Fans verfolgt den Prozess im Gerichtssaal. Sie werden von einem Justizbeamten belehrt, nicht dazwischen zu rufen oder zu filmen. Sie protokollieren den Prozess und stellen ihn ins Netz. In ihrem Protokoll bezeichnen sie Rainer Winkler als "Ruiner", "Wongl" oder "Pommespanzer". Hier geht's zum Artikel. © NEWS5 / Oßwald, NEWS5
22. Oktober 2021: Drachenlord äußert sich zum Urteil
Nicht einmal 24 Stunden später äußert sich der Drachenlord zum Urteil. "Ich sehe nicht ein, mich einsperren zu lassen, nur weil ich mich verteidige. Es ist sehr frustrierend, wenn man nicht weiß, wie man sich verteidigen soll", sagt er in dem Video. Das Gericht hat seine gezeigte Einsicht und Reue als Pluspunkt für ihn gewertet. Doch mit seinem aktuellen Video lässt Winkler abermals Zweifel an dieser gerade erst gezeigten Reue aufkommen und schadet sich damit letztlich selbst. Denn gegen das Urteil des Amtsgerichts sieht der Instanzenzug die Möglichkeit der Berufung zum Landgericht Nürnberg-Fürth vor. Zu diesem Rechtsmittel greift Rainer Winkler, dass der Vollzug der verhängten Freiheitsstrafe doch noch zur Bewährung ausgesetzt wird. Auch die Staatsanwaltschaft legt Berufung ein, um eine Strafmilderung zu verhindern. Die Anklägerin forderte bereits im Amtsgericht zweieinhalb Jahre Freiheitsstrafe. Für Rainer Winkler könnte der Aufenthalt in der JVA also noch länger werden. Hier geht's zum Artikel. © Screenshot YouTube
Ende 2021
Langsam nimmt der Verkauf des Gebäudes in Altschauerberg, der "Schanze" Form an. Gerüchte häufen sich, immer wieder machen Auszugstermine die Runde. Eine Räumung am 5. Januar scheitert auch daran, weil die Gemeinde keine Ersatzunterkunft für Winkler finden kann. © Harry Koerber via www.imago-images.de, imago images/Harry Koerber
28. Februar 2022
Am Ende wird der 28. Februar der Tag, an dem der Drachenlord Altschauerberg wohl endgültig verlässt. Sein Auszug verläuft still und heimlich - unmittelbar nachdem die Schlüssel übergeben wurden, lädt Winkler ein kurzes Video hoch. Er kündigt eine Deutschland-Tour an. Derweil laufen an der "Schanze" die Räumungsarbeiten. In den nächsten zwei Wochen, so die Gemeinde, soll der Abriss des Gebäudes beginnen. © Harry Koerber via www.imago-images.de, imago images/Harry Koerber
16. März 2022
Nur wenige Wochen nach dem Auszug des Streamers aus der 40-Einwohner-Gemeinde läuft der Abriss seines ehemaligen Hauses, der sogenannten "Schanze". Tatsächlich lässt die Gemeinde das Grundstück erst einmal ungenutzt. Konkrete Pläne gebe es nicht, heißt es aus dem Emskirchener Rathaus. Wie viel Winkler für das heruntergekommene Gebäude bekommen hat, bleibt unklar. © ToMa/Grau