Unbekannte Musikstücke: Kirchenbestand barg Schatz
25.05.2016, 08:44 Uhr
Am Sonntag, 29. Mai, stellt er um 16 Uhr in einem Konzert am Aufnahmeort in der Kreuzkapelle in Gaibach (bei Volkach am Main) die CD der Öffentlichkeit vor.
In Neustadt 1965 geboren und aufgewachsen studierte Harald Wießner Klavier am Meistersinger-Konservatorium Nürnberg (Karl-Heinz Schlüter) und Kirchenmusik in Bayreuth (Orgel: Hartmut Rohmeyer) und an der Folkwang-Hochschule Essen (Orgel: Gisbert Schneider). Zahlreiche Konzerte im In- und Ausland begleiten seinen Werdegang als Solist, Kammermusiker und Begleiter.
Seine Beschäftigung mit historischen Orgeln führte zur Produktion von Rundfunksendungen beim Bayerischen Rundfunk und von CD-Einspielungen. Seine Erstausgaben von alter Orgelmusik und Klavierkammermusik, darunter auch die der hier erstmals auf CD eingespielten "Neustädter Orgeltabulatur", sind erschienen bei Verlagen in Deutschland und Italien. Nach langjähriger Tätigkeit als hauptamtlicher Kirchenmusiker wirkt er neben seiner Unterrichtstätigkeit in Hamburg und Lüneburg als freischaffender Organist, Pianist und Cembalist.

"Auch wenn uns heutzutage vorwiegend die neuen Dinge, zumeist aus dem Bereich der Technik, in ihren Bann ziehen, tauchen immer wieder schon verloren und vergessen geglaubte Schätze aus der Vergangenheit auf, die diese neuen Dinge zumindest für einen Moment in den Schatten stellen". Das Entdecken dieser Schätze sei eine Sache, sie dann zu heben und einem interessierten Publikum zugänglich zu machen, eine andere. Letzteres bedürfe immer eines immensen Fachwissens, spezieller Fertigkeiten und einer Menge Idealismus, was Kenner der Materie an Wießner schätzen, dem das Heben eines versteckten Schatzes gelang.
Nur sehr wenige Handschriften erhalten

Wießner beschreibt die Entdeckung einer Orgeltabulatur aus dem 17. Jahrhundert in der Kirchenbibliothek seiner mittelfränkischen Heimatstadt Neustadt "als kleine musikhistorische Sensation". Die sogenannte Orgeltabulatur sei eine besondere Art der Musiknotation aus dem 17. Jahrhundert, die auf den ersten Blick wie eine Geheimschrift aussehe und zunächst als Musiknotation gar nicht zu erkennen sei. Aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts seien wegen des 30-jährigen Krieges nur sehr wenige Handschriften dieser Art erhalten geblieben. Auch die Handschriften aus Neustadt an der Aisch habe nur aufgrund einer baulichen Besonderheit der Neustädter Stadtkirche überlebt: "Sie verfügt über einen Raum, der nur von außen über eine Treppe zugänglich ist. So überlebten die Schriften sogar mehrere Brände, denen Inneneinrichtung und Dachstuhl der Kirche zum Opfer fielen".
Die von Wießner entdeckten Handschriften sind anonym überliefert und mussten erst durch langwierige Vergleiche mit anderen Quellen Komponisten zugeordnet werden. Zwei Sammlungen der Handschrift konnte Wießner relativ schnell als Werke des Nürnberger Organisten Johann Erasmus Kindermann (1616-1655) und des Leipziger Organisten Christian Michael (um 1593-1637) identifizieren. Schwieriger war es nach seiner Schilderung mit dem dritten Teil der "Neustädter Tabulatur": Erst durch Vergleiche mit Handschriften aus der Turiner Nationalbibliothek konnte er diesen Teil der Handschriften dem Komponisten Valentin Dretzel (1578-1658) aus Nürnberg zuordnen, von dem bisher nur ganz wenige Werke erhalten geblieben waren. Die in Neustadt überlieferten Stücke dieses Organisten an der Nürnberger Hauptkirche St. Sebald sind weltweit nirgendwo anders erhalten und sind damit eine absolute Neuentdeckung.
Zweiter historischer Glücksfall
Einen repräsentativen Ausschnitt der Werke aus der Neustädter Orgeltabulatur hat Harald Wießner jetzt auf einer CD des Labels "Sphairos Audio" eingespielt. Neben dem Fund und der Identifizierung der in Neustadt überlieferten Tabulatur stellt das Instrument, das für die Aufnahme gewählt wurde, einen zweiten historischen Glücksfall dar: Im Jahr 1699 errichtete der Bamberger Hoforgelmacher Adam Philipp Schleich eine Orgel in der Kreuzkapelle in Gaibach (bei Volkach am Main gelegen) im Auftrag des Kurfürsten Lothar Franz von Schönborn, der als Fürstbischof von Bamberg und Erzbischof von Mainz auch das Schloss in Gaibach besaß. Dabei wurden wesentlich Teile einer noch älteren Orgel von 1648 verwendet. Dieses Instrument blieb von unsachgemäßen Umbauten verschont und wurde nach 150-jährigem Dornröschenschlaf vor einigen Jahren restauriert wurde. Mit seinem Alter und Erhaltungszustand gilt die Orgel als eines der außergewöhnlichsten historischen Instrumente in Süddeutschland, das naturgemäß für die Darstellung des fränkischen Orgelrepertoires des 17. Jahrhunderts in einzigartiger Weise geeignet ist.
Mit Kunst und Leidenschaft interpretiert
Harald Wießner legt mit dieser Einspielung neben der Dokumentation der "Neustädter Orgeltabulatur", eines sehr seltenen erhaltenen Zeugnisses fränkischer Musik für Tasteninstrumente aus der Zeit des 30-jährigen Krieges, auch die erstmalige Dokumentation eines wirklich besonderen Kleinods der barocken Orgelbautradition Frankens vor. Inzwischen sind auch erste positive Reaktionen aus der Fachwelt zu verzeichnen.
So schrieb der Organologe und Musikwissenschaftler Prof. Dr. Gerhard Aumüller eine sehr positive Rezension über die CD-Produktion von Harald Wießner. Es sei "beeindruckend, mit welcher abwechslungsreichen und dem musikalischen Ausdruck der Stücke ideal angepassten Registrierung und Spielweise Wießner diese kompositorischen Miniaturen zum Erblühen bringt"…"einfach schöne Musik, mit Kunst und Leidenschaft interpretiert". Davon können sich die Besucher am Sonntag, 29. Mai, bei dem Konzert in der Gailbacher Kreuzkapelle überzeugen. Die CD der von Dretzel erstmals vertonten einmaligen Orgeltabulaturen der Komponisten Johann Erasmus Kindermann, Christian Michael und Valentin ist im Kulturamt der Stadt Neustadt erhältlich.
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