NSU-Ausschuss endet, viele Fragen bleiben offen
1.7.2013, 11:37 UhrGünther Beckstein hatte tatsächlich das richtige Bauchgefühl. Immer und immer wieder fragte der damalige bayerische Innenminister bei den Ermittlern nach: Ob bei den fünf rätselhaften, ungeklärten Morden in Nürnberg und München nicht ein ausländerfeindliches Motiv denkbar sein könnte. Doch die Beamten antworteten stets, dass es keine Spuren in diese Richtung gebe – und ermittelten weiter in andere, falsche Richtungen.
Erst 2011 flogen die Terroristen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) auf - da hatten sie ihre blutige Spur längst quer durch Deutschland gezogen. Er habe es immer als „eine der zentralen Niederlagen der bayerischen Polizei angesehen“, dass die Ermittler die Morde nicht aufklären konnten, sagte Beckstein in seiner Vernehmung im NSU-Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags.
Beckstein war einer der letzten der rund 50 Zeugen, sie seit einem Jahr in dem Ausschuss aussagen mussten. An diesem Mittwoch soll die Beweisaufnahme formal abgeschlossen, eine Woche später der Abschlussbericht beschlossen werden – damit das Werk nochmals eine Woche später in der Plenarsitzung vorgestellt werden kann.
Viele Versäumnisse, kein entscheidender Fehler
Das Fazit nach einem Jahr Arbeit könnte am Ende ungefähr so lauten: Bei den bayerischen Behörden – Polizei, Verfassungsschutz, Staatsanwaltschaften – gab es im Zuge der Ermittlungen viele Versäumnisse, viele Unzulänglichkeiten und viele Fehleinschätzungen - aber den einen, alles entscheidenden Fehler, ohne den man die Terroristen vielleicht geschnappt hätte, den gab es wohl nicht. „Ich kenne keinen Punkt, wo ich sage: Hätte man das anders gemacht, dann wären die Täter sofort gefasst worden“, resümierte Beckstein. Dass man hinterher immer schlauer ist – das ist ein Allgemeinplatz.
Allerdings bilanziert Ausschuss-Chef Franz Schindler (SPD) am Ende schon: „Auch bayerische Behörden haben bedauerlicher Weise versagt.“ Tatsächlich ist die Summe der Versäumnisse, die der Ausschuss zutage befördert hat, erschreckend. Warum wurde so lange so vehement in Richtung Organisierte Kriminalität ermittelt? Warum wurde ein möglicher ausländerfeindlicher Hintergrund erst nach Jahren eingehend untersucht? Warum hatte der bayerische Verfassungsschutz so viele V-Leute in der rechten Szene und wusste doch nicht, dass sich die Szene verändert? Warum musste die Polizei so lange warten, um Informationen vom Landesamt zu bekommen? Warum lief die Zusammenarbeit mit anderen Ländern so schleppend? „Es ist manchmal schwieriger, von einem anderen Bundesland Informationen zu kriegen als vom Kongo“, meinte der frühere Chef der Münchner Mordkommission, Josef Wilfling, bei seiner Vernehmung.
Kritik an Zusammenarbeit der Behörden
Und der ehemalige Leiter der Sonderkommission „Bosporus“, Wolfgang Geier, kritisierte die Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz als eine „Einbahnstraße“. Auch diese Frage bleibt am Schluss ziemlich unbeantwortet stehen: Warum wurde der Hinweis einer Frau, die zwei der Terroristen an einem Nürnberger Tatort beobachtete und später auf Videoaufnahmen von einem Kölner Bombenanschlag wiedererkannte, nicht ausreichend weiterverfolgt? Warum hielt es der damals leitende Staatsanwalt nicht für nötig, auch nur einmal den direkten Kontakt zu seinem Kölner Kollegen zu suchen? Und: Warum ließ sich Justizministerin Beate Merk (CSU) – anders als ihr Kollege Günther Beckstein – nicht ein einziges Mal über Details aus den Ermittlungen informieren?
Die Summe der offenen Fragen am Ende ist gewaltig. Welche Lehren für die Zukunft man ziehen sollte – das soll nun bis zur Verabschiedung des Abschlussberichts beraten werden. Einen zentralen Punkt nennen Schindler und Ausschuss-Vize Otmar Bernhard (CSU) aber schon jetzt: dass bei derartigen Mordserien künftig standardmäßig und verstärkt in Richtung eines möglichen ausländerfeindlichen Motivs ermittelt wird.
Und dass Polizei und Verfassungsschutz stärker kooperieren müssen, ist quasi Konsens. Nur einer beklagte im Übrigen eine „beispiellosen Kampagne“ der Medien gegen den Verfassungsschutz: der ehemalige Leiter der für das Landesamt zuständigen Ministeriumsabteilung, Wolf-Dieter Remmele. Nach dem Ausschuss ist aber möglicherweise auch vor dem Ausschuss: Denn nach der überraschenden Aussage eines Polizisten in einer der allerletzten Sitzungen ist durchaus möglich, dass es nach der Landtagswahl einen neuen NSU-Untersuchungsausschuss gibt. Der Polizeibeamte sagte aus, das Kürzel „NSU“ sei schon 2007 bei einer Dienstbesprechung verwendet worden – was eine spektakuläre Neuigkeit wäre. Zwei andere Beamte aber widersprachen entschieden. Wer hat nun Recht? Auch diese Frage bleibt bis auf weiteres unbeantwortet stehen.
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