Kalenderblatt
15. Juli 1971: Machtlos gegen Rauschgift-Flut
15.7.2021, 07:00 UhrIn der Häufigkeitsziffer – pro 1.000 Einwohner 44,47 Straftaten im Jahr 1970 – nimmt Nürnberg unter allen vergleichbaren Großstädten der Bundesrepublik den günstigsten Platz ein. Dabei ist noch zu berücksichtigen, daß 36 Prozent aller in Nürnberg gefaßten Straftäter von auswärts kamen.
Dr. Herold wandte sich schließlich gegen die veralteten Bestimmungen der Strafprozeßordnung, wonach Rückfallgefahr als Haftgrund allein auf Sittlichkeitsdelikte bezogen werden darf. Er bewies, daß beispielsweise bei Betrugs-, Diebstahls- und Einbruchsdelikten die Wiederholungsgefahr oft doppelt so hoch ist wie bei Eigentumsdelikten, bei denen man die Täter nach kurzer Vernehmung jedoch wieder auf freien Fuß setzen müsse.
Erschreckend hoch ist inzwischen auch der Anteil der Rauschgiftkriminalität, die von 1968 bis 1970 um 355 Prozent angestiegen ist. „Ihre Ursachen aber sind polizeilich kaum bekämpfbar. Das spiegelt sich in der Tatsache wieder, daß mehr als die Hälfte aller Verfahren von der Justiz eingestellt werden.“
Zur Entwicklung des Straßenverkehrs stellte Dr. Herold bedauernd fest, daß das Fahren in alkoholisiertem Zustand die erste Stelle unter den Ursachen für tödliche Unfälle einnimmt. Von den 75 Verkehrstoten kamen 23 auf das Konto Alkohol. Als Präventivmaßnahmen werden schon seit langer Zeit verschärfte Kontrollen durchgeführt, bei denen im Vorjahr 1403 Alkoholfahrer in Nürnberg gefaßt wurden.
Als Folge des fortschreitenden Wohlstandes wertet Dr. Herold die Tatsache, daß in 96,8 Prozent aller Fälle der Blutalkoholgehalt weit über 1,3 Promille lag. Werte von 2,8 und sogar über 3 Promille sind heute keine Seltenheit mehr. Die häufigsten Unfallursachen sind nach wie vor Vorfahrtsverletzungen, erst dann kommt Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit.
Im fließenden Verkehr wurden 60.785 Verwarnungen erteilt und 18.556 Ordnungswidrigkeiten angezeigt. Der ruhende Verkehr leidet nach Ansicht Herolds vor allem unter einer „Verwilderung der Parksitten“. Die Folge: in 65.733 Fällen wurden Verwarnungsgelder verhängt, in weiteren 4.688 Fällen Buß-geldverfahren eingeleitet.
Die Kriminalitätsentwicklung scheint zumindest im laufenden Jahr 1971 einen gewissen Sättigungspunkt zu erreichen. Während die Zahl der Straftaten von 1969 auf 1970 um 2.659 auf 21.397 angestiegen war, zeichnet sich im ersten Halbjahr 1971 bereits ein Stillstand ab. Zudem stieg im gleichen Zeitraum im Vergleich zum Vorjahr die Aufklärungsquote von 55,8 auf 56,5 Prozent.
Im vergangenen Jahr allerdings lag Nürnberg im Kriminalitätszuwachs (14,4 v. H.) noch an zweiter Stelle unter den 15 bundesdeutschen Großstädten über 400 000 Einwohner und zwar gleich hinter Bremen. Das Mehr der Straftaten 1970 im Vergleich zu 1969 wird zu über 68 v. H. (!) von der Eigentumskriminalität bestimmt. In den 18,01 Prozent der Sittlichkeitsdelikte ist vor allem die Schwemme von Beschlagnahmungsbeschlüssen von pornographischen Veröffentlichungen enthalten.
Und dabei wurden von den Gerichten 85,4 v. H. dieser Fälle eingestellt, in weiteren 10,4 Prozent erfolgten Freisprüche. „Die polizeiliche Ermittlungstätigkeit ist sonach weitgehend sinnlos geworden“, kommentierte Dr. Herold.
Bei Notzuchtsverbrechen hat Nürnberg mit 58 Fällen im Vorjahr seit 1948 wieder einen Höchststand erreicht. Die Statistik zeigt dabei sehr häufig ein „tatförderndes Fehlverhalten“ der Opfer, die sich leichtsinnig in die Hände der Täter begeben. Das spiegelt auch die Zahl der Einstellungen (75 Prozent), der Freisprüche (7,1 Prozent) und die geringe Zahl der Verurteilungen (17,9 Prozent) durch die Gerichte wieder.
Den explosionsartigen Anstieg des einfachen Diebstahls um fast 18,7 v. H. auf 7.725 Fälle führte Dr. Horst Herold auf die Zunahme der Bagatellkriminalität, vorwiegend der Laden- und Kaufhausdiebstähle zurück, die allein einen Anstieg von 44,9 Prozent registrierten. Immer verbreiteter werde vor allem der sogenannte Mundraub, der nach Ansicht Dr. Herolds entkriminalisiert gehört.
Einen breiten Raum im Jahresbericht der Polizei nahm die Rauschgift-Kriminalität ein. Aber auch hier versagen oft die polizeilichen Gegenmittel, weil 57 Prozent aller Fälle von der Justiz eingestellt werden. Unter den Verbrauchern dominieren die Minderjährigen mit über 70 Prozent. Nach Schätzungen des Fachkommissariats im Nürnberger Polizeipräsidium dürften etwa 30 Prozent aller Oberschüler in Oberstufen bereits mit Rauschgift in Berührung gekommen sein.
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