20 Jahre Improvisation: Das Erfahrungsfeld der Sinne
9.4.2014, 07:59 Uhr
Frau Brünesholz, Herr Ühlein, wenn Sie zurückblicken: Woran denken Sie zuerst, wenn Sie sich an das erste Erfahrungsfeld im Sommer 1989 erinnern?
Dorit Brünesholz: Ich denke an das wunderschöne Zelt mit der besonderen Schmuckfassade auf der grünen Wiese und die vielen spielenden Kinder.
Hartmut Ühlein: Mir fällt wahnsinnig viel Improvisation ein und ganz viel Aufbruchstimmung.
Es war ein Stück Neuland - habt ihr damals damit gerechnet, dass daraus eine feste Institution werden kann?
Ühlein: Ich war vom kulturpädagogischen Ansatz überzeugt. Und die Resonanz der Menschen und was passiert ist, hat uns darin bestätigt.
Brünesholz: Es war am richtigen Ort zur richtigen Zeit der richtige Ansatz. Aber das war etwas, was wir im Jugendzentrum für politische Bildung immer wieder hatten. Indem wir neue gesellschaftlich relevante Themen aufgriffen, um sie anschaulich rüberzubringen - und damit richtig lagen.
1989 war es ein Gastspiel der gemeinnützigen Erfahrungsfeld GmbH in Essen. Erst 1996 folgte ein zweites Gastspiel. Was ist in den Jahren passiert?
Ühlein: Der Ansatz ist damals in Form des mobilen Erfahrungsfeldes aufgegriffen worden - vor allem über Lienhard Barz, den langjährigen Leiter des Erfahrungsfeldes, und Walter Jäger ist es konzeptionell entwickelt worden, mit dem ganzen Spektrum des Erfahrungsfeldes in klein. Nach dem Grundsatz: Es muss alles in einen Kombi hineinpassen.
Brünesholz: 1996 war das zweite Gastspiel mit ähnlich großem Erfolg. Und die Veranstalter sagten uns damals, dass sie in Essen ein festes Erfahrungsfeld errichten wollen und fragten uns, ob wir nicht für Bayern in Nürnberg ein eigenes Erfahrungsfeld aufbauen wollen.
Ühlein: Durch die Plafonierung unseres Budgets und verfügbarer Personalgelder konnten wir unternehmerisch agieren und investieren. Mit Rückendeckung des damaligen Kuf-Leiters Michael Popp war das möglich.
Brünesholz: Trotz der Skepsis vieler Leute, ob sich das Erfahrungsfeld halten kann, bekamen wir viel Unterstützung aus einem Initiativkreis mit Architekten, Künstlern, Medienvertretern, Pädagogen und Ärzten, der uns ermutigte. Die erste Saison verlief dann so erfolgreich, dass wir die Investitionen schneller hereinholten, als wir gedacht hatten.
Das Erfahrungsfeld ist in den Jahren weitergewachsen. Gab es da auch mal Phasen, wo es euch etwas schwindlig wurde?
Brünesholz: Ja, ich kann mich noch gut an schwierige Gespräche mit potenziellen Sponsoren erinnern, die erfolglos verliefen, weil wir gar nicht wussten, wie wir das Erfahrungsfeld vermarkten sollen. Ein Bereich, den wir als Pädagogen nicht kannten und keine Erfahrung hatten. Da mussten wir viel lernen.
Ühlein: Es war schon irgendwie ein Kampf, weil wir wegen der Größe mit allen anderen städtischen Behörden viel abstimmen mussten. Im ersten Jahr war die Stimmung insgesamt wohlwollend, weil viele dachten, die machen das ein oder zwei Mal. Vonseiten der Politik gab es die Ansicht, das läuft sich tot.
Brünesholz: Mitarbeiter aus dem Gartenbauamt waren sehr früh davon überzeugt und von der anderen Form von Spielplätzen begeistert. Die Kollegen haben uns jedes Jahr beim Aufbau und bei der Umsetzung tatkräftig geholfen.
Was war wichtig, damit sich das Erfahrungsfeld durchsetzen konnte?
Brünesholz: Das war die begeisternde und überzeugende Art von Lienhard Barz, der auch Partner und Sponsoren überzeugt hat.
Ühlein: Und wenn man die Leute unten auf der Wöhrder Wiese hatte, haben sie sich durch den persönlichen Eindruck vom Erfahrungsfeldfieber anstecken lassen. Dazu gehörte zum Beispiel Bürgermeisterin Helen Jungkunz, die mit ihrer Enkelin da war.
Was ist das Besondere des Erfahrungsfelds in einem Satz?
Ühlein: Einfach gesagt ist es, dass das Erfahrungsfeld Kopf und Hand zusammenbringt. Das ist auch das, was mich auf Anhieb fasziniert hat, als ich 1988 mit Lienhard Barz das erste Mal in Köln das Erfahrungsfeld erlebt hatte.
Brünesholz: Genau, durch das eigene Erleben entsteht eine ganz besondere Qualität des Wahrnehmens, was durch nichts anderes ersetzt werden kann.
Was waren die persönlichen Höhepunkte für Sie?
Ühlein: Was ich unglaublich toll finde, sind die Begegnungen. Man lernt hier unheimlich viele Menschen kennen - und dieser Weg ist ein wahnsinnig spannender Prozess. Er ist nie fertig.
Brünesholz: Wenn ein junger Mensch uninteressiert vor dem Klangstein steht und ihn dann mit etwas Hilfe zum Schwingen bringt und mit ihm etwas passiert und er die Station „cool“ findet - das ist noch immer für mich ein Highlight.
Ühlein: Ja, das Erfahrungsfeld schließt die Menschen auf - und es kommt unmittelbar etwas von ihnen zurück.
Brünesholz: Das setzt Impulse - deshalb ist das Wesentliche nicht ein bestimmtes Highlight, sondern dass sich die Leute begeistern lassen.
Was ist also das Geheimnis des Erfahrungsfelds?
Brünesholz: Dass sich in der Einfachheit der Stationen durch das eigene Tun die Vielfalt der Welt erfahren lässt.
Ühlein: Ich glaube, dass es mindestens eine Station gibt, die selbst den coolsten Typen berührt. Zum Beispiel kam letztes Jahr eine quirlige Klasse zum Afrikazelt — und nach einer Rhythmusübung sind die Jugendlichen ganz ruhig geworden und konnten sich plötzlich auf das Feld einlassen.
Brünesholz: Es gibt keine Altersgrenze - der Erfahrungsfeld-Gründer Hugo Kükelhaus sagte, es ist von drei bis 103 Jahren. Und er sagte auch, „der rote Faden bist du selbst“.
Gibt es nach 20 Jahren noch Wünsche oder Projekte, die Sie auf dem Erfahrungsfeld verwirklichen möchten?
Brünesholz: Es wäre schön, wenn es für die blinden Mitarbeiter im Dunkelbereich eine Perspektive mit einem festen Arbeitsplatz geben würde.
Ühlein: Wenn wir nicht mehr Mitarbeiter haben können, sind wir schon an Grenzen angekommen. Wichtig ist es, dass wir unter den gegebenen Umständen uns weiterentwickeln und das Erfahrungsfeld spannend bleibt.
Brünesholz: Und dass wir die Menschen vor lauter Management, Technik und Formalien nicht aus den Augen verlieren.
Ühlein: Im Grund wäre mein Traum, wenn das Erfahrungsfeld ein Gegenentwurf zur Ich- und Ellenbogen-Gesellschaft wäre. Wo man ohne Druck lernen kann - unter der Prämisse: Ökologie statt Ökonomie oder Teilen statt Haben zum Beispiel.
Wo wird Ihrer Ansicht nach das Erfahrungsfeld in 20 Jahren stehen?
Brünesholz: Ich glaube, dass es wichtiger denn je sein wird, um in dieser immer komplexeren Welt Grundwerte zu erfahren.
Ühlein: Das glaube ich auch. Es wird das Erfahrungsfeld zur Entfaltung der Sinne weiter geben, aber es muss auf der Hut sein, dass es sich nicht zu sehr einzwängen lässt. Ich finde, wir brauchen es insbesondere deshalb, um einen Ort zu haben, um zur Besinnung zu kommen.
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