22. Juli 1970: Nackte Puppen mit weißem Sand
22.7.2020, 07:00 UhrAnlaß der aufwendigen und in der vergangenen Woche ins Wasser gefallenen Sandmann-Aktion ist die gegenwärtige Ausstellung in der Kunsthalle „Das Ding als Objekt“ – eine erstmals in der Bundesrepublik zu sehende Präsentation europäischer Objektkunst und eine gute Gelegenheit, die „Dinge“ einmal nicht so zu nehmen, wie sie sind. Der dort ausgestellte vernagelte Fernseher bietet zwar nicht das Dritte Programm, aber so ganz ohne Sinn ist er auch nicht.
Die 32jährige Nürnberger Künstlerin Renate Weh siebte am Dienstag vor Schaulustigen, Marktfrauen und Fernsehkameras Schubkarren, nackte Schaufensterpuppen und Menschen ein – ein Klavier samt der darauf gespielten Melodie wird folgen zum Anschauen und für den Film „Veränderungen“, den die Telefilm Saar mit dem Nürnberger Institut für moderne Kunst produziert. Die Männer machten ernste Gesichter, die Frauen hatten alle Hände voll zu tun, weil die Kinder mit dem schönen, weißen Quarzsand spielen wollten, und die Jugend meinte über die Opposition der Kritiker: „Die haben auch keinen Humor.“
Doch lustig sollte die „Action“-Sieberei gar nicht sein, sondern ästhetisch. Die Einsiebungen zielen auf die Veränderungen künstlicher Formen ab, hervorgerufen durch das Medium Sand. Ein in der Natur überall zu beobachtendes Formenspiel von ästhetischen Reiz – und übrigens, nicht neu: auch die uralte japanische Gartenkultur kennt die „ästhetische Erde“.
Herbert Marcuse würde vermutlich von einem unnreflektierten Aktionismus sprechen, denn die Veränderungen wenden sich an das Auge, nicht an den Sinn. Sonst bliebe die wohl hier auch psychologisch nicht uninteressante Frage: Warum die Klaviere zuschütten? Wenn die auf „Veränderungen“ gerichtete Kunst auf dem Umweg über ein Objekt reflektierend auf das Bewußtsein der Menschen einwirken will, wäre es weit besser die Klaviere zu zerschlagen. Das geschieht noch täglich.
Und so meinte eine Frau auch beruhigend zu ihrem etwas verwirrt dreinblickenden Mann: „Reg dich net auf, Schorsch, des is blos für an Film.“