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30. Dezember 1971: Amokläufer von Polizei erschossen

30.12.2021, 07:00 Uhr
30. Dezember 1971: Amokläufer von Polizei erschossen

© Rudolf Contino

Zwei Stunden später starb der Schwerverletzte auf dem Operationstisch des Städtischen Krankenhauses. Zwei Steckschüsse in der Brust hatten die Lunge des Amokläufers zerfetzt. Einziger Hinweis auf die mögliche Identität des Amokläufers: ein im Oberhemd eingenähtes Namensschild „KRIEMER“. Mit einer Axt in der Hand, die der Unbekannte kurz zuvor für 7,50 DM gekauft hatte – das Preisschild hing noch am Stiel – stürmte er gegen 18.10 Uhr in den Sex-Shop und schrie: „Ich haue alles zusammen und nehm das Geld mit!“ Gleichzeitig schlug er wahllos gegen die Wandregale. In dem Geschäft befanden sich zu dieser Zeit neben drei Kundinnen nur die 32jährige Geschäftsführerin Erika 0. und der Verkäufer Heinrich D. (26). Während die Kundinnen fluchtartig aus dem Laden stürmten, mußten Geschäftsführerin und Verkäufer zusehen, wie der Amokläufer das Geschäft zertrümmerte. Schließlich warf der Rasende Sex-Bücher, Kassetten-Tonbänder, Tonbandgeräte, Projektoren und Sex-Utensilien durch die geschlossene Glastür auf die Straße. Erst jetzt gelang es Erika Ü., unbemerkt ans Telefon zu kommen und über Notruf die Polizei zu verständigen.

Mit gezogener Dienstwaffe

Der mit einer Pistole bewaffnete Taxifahrer Horst G. (30) wollte zunächst auf eigene Faust in das Geschäft gehen, wartete dann aber auf das Eintreffen der Polizei. Wenige Minuten später war der erste Streifenwagen zur Stelle. Der Beifahrer sprang sofort heraus und stürmte mit gezogener Dienstwaffe in den Laden. Der unbekannte Amokläufer wollte gerade wieder einen Stapel Bücher auf die Straße werfen. Als er den Beamten, einen 24jährigen Polizeiobermeister der Funkstreife, entdeckte, ließ er die Bücher fallen und ging mit erhobener Axt auf den Ordnungshüter los. In wenigen Sekunden spielte sich nun das tödliche Drama ab: der Polizeibeamte rief dem Angreifer zu: „Hände hoch, ich schieße!“ Der Amokläufer reagierte nicht. Nur durch einen schnellen Sprung zur Seite rettete sich der Polizist vor der niedersausenden Axt, dann schoß er in schneller Folge viermal. Von drei Projektilen getroffen, stürzte der Unbekannte zu Boden. Der Polizeibeamte stürzte ins Freie und rief seinem Kollegen zu: „Ich habe schießen müssen. Hol schnell das BRK.“ Mit einem Sanka, begleitet von einem Notarzt, wurde Minuten später der Verletzte ins Krankenhaus gebracht, wo er sofort operiert wurde.

Einer der Schüsse aus der Polizeipistole hatte die Innenverkleidung des Schaufensters und die dicke Scheibe durchschlagen und war auf die Straße geflogen, genau an der Stelle, wo zu dieser Zeit oft viele Leute an der Haltestelle auf den Omnibus warten, Das Projektil wurde auf der anderen Seite der Kaiserstraße gefunden. Die Fahrbahn selbst glich einem Schlachtfeld. Die Polizei sperrte schließlich die Kaiserstraße mit Seilen ab, um zu verhindern, daß vielleicht Schaulustige Sexartikel, die der Amokläufer hinausgeworfen hatte, mit nach Hause nehmen. Ein Zeuge der Wahnsinnstat in dem Sex-Shop: „Der Kerl mit seiner Axt ging mit einem wahren Enthusiasmus zu Werke.“ Die Mordkommission vermutet, daß der Täter in einem Anfall moralischer Prüderie alles vernichten wollte, was mit Sex zu tun hat. In dem verwüsteten Geschäft fand die Polizei eine braune Lederaktentasche des Täters, in der er möglicherweise später erbeutetes Geld abtransportieren wollte. In unmittelbarer Nähe des Sex-Shops stellte außerdem die Polizei ein Damenfahrrad sicher, mit dem der Unbekannte wahrscheinlich zum Tatort gefahren war. Bis spät in die Nacht wurden im Polizeipräsidium Zeugen vernommen. Beamte der Mordkommission mußten auch Vorermittlungen gegen ihren Kollegen von der Funkstreife, den 24jährigen Polizeiobermeister, einleiten.

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