Fall 17 von "Freude für alle"

33 Quadratmeter für Mutter mit zwei Teenagern: Nürnberger Familie lebt in Mini-Obdachlosenwohnung

Irini Paul

NN-Lokales

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2.12.2023, 14:52 Uhr
Endstation Obdachlosenpension. Wer wenig Geld und dann auch noch mehrere Kinder hat, der ist auf dem Wohnungsmarkt fast chancenlos. (Symbolbild)

© Daniel Bockwoldt/dpa, NN Endstation Obdachlosenpension. Wer wenig Geld und dann auch noch mehrere Kinder hat, der ist auf dem Wohnungsmarkt fast chancenlos. (Symbolbild)

Wenn Marie S. (Name geändert) über ihre drei Kinder spricht, verliert sie dann doch für einen Moment die Fassung und kämpft mit den Tränen. Denn eigentlich reißt sich die 41-Jährige zusammen - obwohl sie stark belastet ist, ihr das Schicksal einige Nackenschläge verpasst hat, sie für manche Fehlentscheidung bitter büßt. "Ich will unbedingt, dass wir da raus kommen. Meine Kinder sollen ein normales Leben haben."

Doch davon ist Marie S. weit entfernt. Die gepflegte Frau lebt seit einem Jahr mit ihren 14- und 16-jährigen Kindern in einer Nürnberger Obdachlosenwohnung. Das dritte bereits 19-jährige Kind lebt beim Vater - notgedrungen. Denn wohl fühle sich der Sohn dort nicht, sagt sie. Schuld seien "die strengen Erziehungsmethoden" des Vaters ihrer Kinder, wie sie es formuliert.

Zu dritt 33 Quadratmeter

So teilt sie sich heute mit den beiden Jüngsten 33 Quadratmeter - ein Raum mit zwei Herdplatten, Schlafgelegenheiten, einem Tisch mit drei Stühlen. Das war es. Von Privatsphäre kann keine Rede sein - weder für sie, noch für ihre beiden Teenager, die nie auf den Gedanken kämen, jemanden dorthin mitzubringen. "Sie schämen sich natürlich", sagt sie. Niemand soll wissen, wo sie wohnen. Freunde sind rar. Nur die Jüngste hat durch ihren Sportverein auch außerhalb der Schule Kontakte. Ansonsten lebt die Familie mehr oder weniger isoliert.

Das Leben von Marie S. war schon früh belastet. Als ihr Vater die Familie verlässt, ist sie gerade mal neun Jahre alt und die Mutter überfordert mit den Kindern. Schnell gerät die Familie in die emotionale Schieflage und Marie S. kommt ins Heim.

Falsche Freunde

Als Teenager macht sie Erfahrung mit Drogen und raucht Cannabis. Dennoch schafft sie den Hauptschulabschluss, beginnt eine Ausbildung zur Hauswirtschafterin. Doch dann lernt sie ihren Freund kennen und bekommt früh das erste Kind mit ihm. Doch die Beziehung ist schwierig. Er kontrolliert sie und ist von extremer Eifersucht getrieben, so dass sie die Ausbildung ihm zuliebe abbricht. Die irgendwann vierköpfige Familie, in der es ständig Streit gibt, hält sie mit Minijobs oder Anstellungen bei Zeitarbeitsfirmen über Wasser. Er macht nichts. Kurz nach der Geburt der Jüngsten zerbricht die Beziehung. Und Marie S. steht endgültig alleine da - mit einem Neugeborenen und zwei Kleinkindern.

Sie zieht mit den Kindern in eine winzige Wohnung. Einige Jahre meistert sie alles, und kommt am Ende doch mit dem Erlebten und der Belastung nicht mehr klar und greift wieder zu Drogen. Eineinhalb Jahre nur, wie sie sagt. Doch die reichen, dass sie eine stationäre Therapie machen muss. Die Kinder bleiben in dieser Zeit bei deren Vater.

Was im Lilith-Secondhandladen verkauft werden soll, wird zuvor in der eigenen Werkstatt für den Verkauf vorbereitet.  

Was im Lilith-Secondhandladen verkauft werden soll, wird zuvor in der eigenen Werkstatt für den Verkauf vorbereitet.   © Irini Paul, NNZ

Elf Jahre ist das bereits her, seitdem hat sie keine Drogen mehr angerührt, wie sie sagt. Und danach lief alles "einigermaßen gut". Bis sie vor zwei Jahren wieder an den Falschen gerät. Denn der erweist sich nach wenigen Monaten als schwerstalkoholabhängig, nach einem Dreivierteljahr greift der Freund, der in einer eigenen Wohnung lebt, zu Heroin. Während sie arbeiten geht.

Immer wieder gibt sie ihm Geld, das sie nie wieder sieht. Irgendwann kann sie die Miete nicht mehr zahlen, bleibt die Stromrechnungen schuldig und landet schließlich per Zwangsräumung auf der Straße.

Schulden von Zwangsräumung

Von ihrem Partner hat sie sich längst getrennt. Inzwischen lebt sie wieder vom Jobcenter und steht heute mit Schulden für zwei Monatsmieten, die Zwangsräumung und Internet da. Leistungen vom Jobcenter werden zum Teil einbehalten, um die Schulden abzubauen. Es bleibt wenig. Regelmäßig geht sie zur "Tafel" für Nahrungsmittel und geht zum Blutspenden, um den Kindern überhaupt irgendetwas ermöglichen zu können. Der Vater zahlt weder, noch kümmert er sich um seine beiden Jüngsten. Gekürzten Unterhalt bekommt Marie S. als Unterhaltsvorschuss vom Jugendamt.

Leben mit Struktur

Dennoch will sie nicht aufgeben. Schon vor Jahren suchte sie sich Hilfe bei dem Nürnberger Verein Lilith, der sich um Frauen und Kinder mit Drogenproblematik kümmert. Heute steht sie dort auch regelmäßig im Secondhand-Laden. Es ist ein Projekt, das ihr den Weg zurück in die Arbeitswelt ebnen und ihrem Leben wieder Struktur geben soll. "Wir haben schon früh ihr Potential gesehen, die Probleme anpacken zu wollen", sagt die betreuende Sozialarbeiterin.

Doch nach wie vor versucht Marie S. verzweifelt, eine Wohnung zu finden. Bisher vergeblich. Damit alleine wäre es dann aber auch noch nicht getan. Dann bräuchte sie finanzielle Hilfe bei der Erstausstattung. Der Auszug ist ihr sehnlichster Wunsch für sich und ihre Kinder, die nicht länger in einer Obdachlosenunterkunft aufwachsen sollen.

Um Marie S. beim Neustart finanziell unterstützen zu können, bitten wir heute herzlichst um Spenden.

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