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6. November 1971: Größte Vorsicht bei Jagd auf Baader-Meinhof-Gruppe

6.11.2021, 07:00 Uhr
6. November 1971: Größte Vorsicht bei Jagd auf Baader-Meinhof-Gruppe

© Polit

Mit der Dienstwaffe in der Hand forderte der Streifenbeamte den Autofahrer auf, auszusteigen: „Ihr rechtes Rücklicht ist defekt.“ Nach Überprüfung der Personalpapiere stellte der Polizist eine Mängelanzeige aus und verabschiedete sich wieder.

Der 36jährige kaufmännische Angestellte war das erste „Opfer“ der Nürnberger Polizei bei ihrer Fahndung nach Mitgliedern der Baader-Meinhof-Gruppe. Dazu Kriminaldirektor Heinrich Helldörfer, Chef der Kripo: „Außergewöhnliche Aktionen der Baader-Meinhof-Gruppe haben außergewöhnliche Reaktionen der Polizei zur Folge.“

Helldörfer verwies auf den Mord an dem Hamburger Polizisten Norbert Schmid am 22. Oktober und den Vorfall Ende September an der Autobahn Karlsruhe – Basel, wo zwei Polizeibeamte bei einer Autokontrolle auf einem Parkplatz bei Freiburg wahrscheinlich von Mitgliedern dieser Verbrechergruppe niedergeschossen worden waren.

„Unsere Fürsorgepflicht verlangt es, daß wir jeden unserer Beamten auf die steigende Gefahr hinweisen, die mit der Fahndung nach diesen Gewaltverbrechern verbunden ist. Wer will es einem Polizeibeamten verdenken, wenn er künftig noch vorsichtiger als bisher zu Werke geht, um zunächst sein eigenes Leben zu schützen“, erklärt Helldörfer.

Nach der Schießerei bei Freiburg hatte man der Polizei zum Vorwurf gemacht, die beiden kontrollierenden Beamten hätten schon beim geringsten Verdacht ihre Pistolen ziehen müssen, um sich rechtzeitig zur Wehr setzen zu können. – Im Falle Nikolaus St. hatte der kontrollierende Beamte geglaubt, einen der Gesuchten in dem Wagen erkannt zu haben und wollte nun jedes Risiko, einem Anschlag zum Opfer zu fallen, ausschließen.

„Dafür bitten wir die Öffentlichkeit um Verständnis“, meint Heildörfer, der immer wieder seine Beamten darauf hinweist, daß die Mitglieder der Baader-Meinhof-Gruppe rücksichtslos auf Polizisten schießen.

In den einzelnen Polizeirevieren sowie im Präsidium selbst liegen Mappen mit allen Unterlagen über die Arbeitsweise dieser Gewaltverbrecher auf, sowie die Fotos der bisher bekannten Mitglieder der Gruppe, die sich die Beamten täglich oft mehrmals ansehen und einzuprägen versuchen.

Im Vorspann zu einer dieser Mappen heißt es: „Die Kenntnis dieser Unterlagen kann lebenserhaltend sein. Daher sofort einprägen. Bei allen Kontrollen muß damit gerechnet werden, einem Mitglied der Baader-Meinhof-Gruppe gegenüberzustehen, das ohne Warnung schießt.“ Nach diesen Richtlinien ist der Beamte verfahren, der Nikolaus St. in der Reichelsdorfer Hauptstraße stoppte. Und dies wird sicherlich kein Einzelfall bleiben.

Wie bei der Jagd nach der Baader-Meinhof-Gruppe paßt sich die Polizei auch verstärkt den Methoden anderer Rechtsbrecher an. Vor allem bei der Fahndung nach Rauschgifthändlern zieht die Polizei heute öfter als früher die Pistole. Die Erfahrung hat nämlich gezeigt, daß gerade diese Gruppe von Gesetzesbrechern immer häufiger bewaffnet ist.

Nachdem bekanntgeworden ist, daß die Baader-Meinhof-Gruppe inzwischen auch im Besitz von Polizeiuniformen ist, wird den Beamten vor allem seitens der Justiz mit einigem Mißtrauen begegnet. So müssen Polizeibeamte, die zur Vernehmung Verhafteter ins Nürnberger Untersuchungsgefängnis Einlaß begehren, neuerdings dem Pförtner auch ihren Dienstausweis zeigen. Die Uniform allein als Legitimation reicht nicht mehr.

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