"Abschiebekrimi" um Nürnberger Familienvater: "Behörde außer Rand und Band"
24.2.2019, 18:09 Uhr"Ethiopia - not safe", steht auf einem großen weißen Banner. Darunter: "Keine Abschiebungen". Immerhin 30 Leute versammelten sich am Freitagabend vor der Fürther Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge. Spontan, an einem kühlen Nachmittag. Sie protestierten gegen die Abschiebung von Ermias, einem Asylbewerber aus Äthiopien. Zwei Kinder, sieben Monate und drei Jahre alt, eine Partnerin, eine abgeschlossene Berufsausbildung, auf der Suche nach einem Job. Und dennoch sollte der Äthiopier, der vor fünf Jahren nach Deutschland kam, an eben jenem Freitag abgeschoben werden.
Der Flieger stand bereits auf dem Rollfeld des Frankfurter Airports. Um 21.35 Uhr sollte die Maschine der Ethiopian Airlines abheben. Das Ansbacher Verwaltungsgericht lehnte kurz zuvor einen Eilantrag, der die Abschiebung von Ermias aussetzen sollte, ab. Die Nürnberger Ausländerbehörde ließ den Familienvater festnehmen und zum Frankfurter Flughafen bringen, von dort aus sollte es nach Äthiopien gehen. Der Bayerische Flüchtlingsrat spricht etwa von einem "Abschiebekrimi", von enormem Zeitdruck. Erst das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) stoppte die Ausweisung - in letzter Minute. Das bestätigte ein Sprecher gegenüber nordbayern.de. Zuvor legte Ermias Anwältin, die Erlangerin Giannina Mangold, Beschwerde in Karlsruhe ein. Es drohe die Verletzung des Artikels 6 des Grundgesetzes, der die Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stellt. Konkret heißt das: Weil Ermias eine Familie in Deutschland hat, darf der junge Mann nicht abgeschoben werden. Vorerst.
Es ist ein weiteres Kapitel eines Rechtsstreites, der seit Monaten schwelt. Bereits im Januar stellte Anwältin Mangold einen Antrag auf Erteilung einer Duldung für Ermias. Statt der Integration forcierte die Ausländerbehörde aber sogenannte "aufenthaltsbeendende Maßnahmen", bereitete also die Ausweisung des jungen Mannes vor. Am 11. Februar folgte deshalb der Eilantrag beim Ansbacher Verwaltungsgericht, der am Freitag abgelehnt wurde.
"Eine schallende Ohrfeige für Behörden"
"Wir haben uns auf die Familieneinheit gestützt", erklärt Mangold. "Da sagt das Verwaltungsgericht, dass genau das aber nicht das große Problem ist." Die Argumentation des Gerichts: Die Partnerin von Ermias habe keinen gesicherten Aufenthaltsstatus in Deutschland, außerdem sei die Vater-Kind-Beziehung nicht ausreichend dokumentiert. Dabei liege den Behörden eine Vaterschaftsanerkennung und eine gemeinsame Sorgerechtserklärung vor. Außerdem könne der Äthiopier in seiner Heimat erneut ein Visum für Deutschland beantragen. "Das hätte er natürlich nie bekommen", glaubt Mangold. "Und er hat mit seiner Ausweisung auch eine 30-monatige Einreisesperre."
Mangold skizziert die Stunden, in denen Ermias um seine Zukunft bangte, so: "Wir waren den ganzen Tag über in Kontakt, mit ihm und mit Helfern." Um 11 Uhr sei die Entscheidung des Verwaltungsgerichts in ihrer Kanzlei eingegangen - mit 20-seitiger Begründung. Ermias meldete sich bei der Ausländerbehörde, wie so oft in den vergangenen Monaten. Doch diesmal wurde er festgenommen. "Er durfte sich zynischerweise noch von seinen Kindern verabschieden", sagt Mangold. "Gegen 17 Uhr war er dann im Flughafenbereich, da brach der Kontakt ab." Die Entscheidung des Verfassungsgerichts fiel gegen 21.20 Uhr, also nur 15 Minuten, bevor der Flieger nach Afrika abhob. "Er saß schon im Flugzeug."
Warum sollte Ermias trotz Ausbildung abgeschoben werden?
Der Bayerische Flüchtlingsrat ist erzürnt. "Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist eine schallende Ohrfeige für die Nürnberger Ausländerbehörde und das Verwaltungsgericht Ansbach", sagt David Förster von der Lobby-Organisation. "Es ist erschreckend, dass die Ausländerbehörde einen Facharbeiter und Familienvater unter Bruch der verfassungsmäßig garantierten Grundrechte abschieben und eine Familie auseinanderreißen will und darin auch noch von einem bayerischen Gericht bestätigt wird."
Der Flüchtlingsrat fordert Konsequenzen, besonders die Stadt Nürnberg steht dabei im Fokus. "Offenbar ist die Nürnberger Ausländerbehörde außer Rand und Band und hat den Boden der Rechtsstaatlichkeit verlassen", sagt Förster. "Die Stadt Nürnberg muss deshalb endlich durchgreifen und die Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit einfordern." Die Nürnberger Behörde äußerte sich bislang noch nicht zu dem Fall.
Verfassungsgericht greift immer wieder ein
Warum Ermias trotz einer abgeschlossenen Berufsausbildung abgeschoben werden sollte, ist unklar. Im vergangenen August kündigte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann an, selbst abgelehnte Asylbewerber besser vor Abschiebungen zu schützen, besonders in der Pflege. Man habe den Ausländerbehörden eine entsprechende Maßgabe mit an die Hand gegen, so Herrmann damals - und sich dabei an der 3+2-Regelung orientiert. Die schützt integrationswillige Asylbewerber in der Berufsausbildung und in den ersten zwei Berufsjahren. Damit reagierte der Freistaat auch auf den Fachkräftemangel. Ermias, der vor fünf Jahren nach Deutschland kam, hat seine Ausbildung erst vor Kurzem abgeschlossen.
Immer wieder greift das Bundesverfassungsgericht in laufende Abschiebungen ein. Grundsätzlich versuchen die Richter zu entscheiden, bevor das Flugzeug startet. In Einzelfällen wurden Menschen aber auch bereits aus ihren Heimatländern zurückgeflogen. "Das ist eine Sache von Stunden, das geht relativ schnell", sagt Max Schoenthal, Sprecher des Bundesverfassungsgerichts. Dabei setzen sich drei Richter zusammen und treffen eine sogenannte Kammerentscheidung - sie muss einstimmig fallen.
Wie es für den Äthiopier nun weitergeht, bleibt ungewiss. Seine Abschiebung ist durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für drei Monate aufgeschoben, solange ist Ermias geschützt. Und dann? "Ab Montag wird es spannend", sagt Mangold. Dann müssen sich die Gerichte erneut mit dem Fall befassen. Am Ende wird wohl der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) entscheiden müssen. "Im für uns günstigsten Fall darf er dann hierbleiben."