Alle vier Wochen ein neues Zuhause in New York
8.5.2018, 13:01 UhrNZ: Frau Horsten, Herr Zeltner, wie sind Sie auf die Idee gekommen, das zu machen?
Felix Zeltner: Christina ist in New York geboren. Und als wir beide wegen der Arbeit dorthin gezogen sind – wir sind Journalisten –, haben wir zuerst in der Gegend gewohnt, in der sie geboren ist: an der Upper Eastside in Manhattan. Drei Jahre hatten wir dort eine schöne Wohnung, dann wurde unsere Tochter Emma geboren. Als wir mit ihr aus dem Krankenhaus nach Hause kamen, lag ein Brief im Postkasten: Wir hätten den Mietvertrag verletzt, weil wir nicht genug Teppiche in der Wohnung hatten und zu viel Lärm machen würden.
Der eigentliche Grund war: Unsere Vermieterin mochte keine Kinder. Und da ihr das ganze Haus gehört, war die Sache eigentlich schon gelaufen. Wir sind zwar vor Gericht gezogen, aber ihr Anwalt hat gleich gesagt: "Leute, tut euch das nicht an. Zieht einfach aus und sucht euch was neues Schönes."
NZ: Was haben Sie dann gemacht?
Zeltner: Wir mussten fast so wie die Heilige Familie mit einem Neugeborenen eine Wohnung finden, das war natürlich nicht so schön. Schließlich sind wir nach Brooklyn gezogen. Das Viertel, in dem wir da gelandet sind, ist ein bisschen wie Prenzlauer Berg in Berlin. Irgendwann kam eine Mail vom Vermieter, dass die Preise im Viertel steigen und ob wir mit 400 Dollar mehr im Monat einverstanden wären. Das wären dann 3200 Dollar gewesen – und zu viel für uns. Unser Vermieter hat dann sofort das Apartment ins Netz gestellt und Leuten gezeigt, die interessiert sind. Er hat uns quasi auch rausgeschmissen. Und wir waren zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres in der Situation, dass wir ohne Wohnung dastanden.
NZ: Wie ging es für Sie weiter?
Zeltner: Wir haben lange überlegt, was wir machen sollten. Nach vier Jahren in New York hatten wir so viel gesehen, wir hatten die Stadt lieben gelernt, wir wollten bleiben und konnten uns irgendwie vorstellen, überall zu wohnen. Dann haben wir gesagt: Dann wohnen wir halt überall. Und wenn wir es für ein Jahr machen und jeden Monat woanders hingehen, dann geht das auch. Unser Vermieter hat uns letztlich ein Geschenk gemacht.
Als wir unseren Freunden davon erzählt haben, sagten die aus Deutschland: Scheißidee! Und die in New York: Superidee! Auch unsere Eltern waren nicht begeistert. Mit Kind dauernd umziehen, das macht doch keiner. In New York ist das schon normaler. Die Amerikaner ziehen ja generell viel häufiger um. Die fanden das, glaube ich, auch cool, weil sie ihre Stadt so vergöttern, und wenn dann jemand so etwas macht, quasi als Liebeserklärung an New York, dann finden sie das unterstützenswert. Einer unserer Freunde sagte dann, ich hätte ein Apartment für euch. Und so ging es im Sommer 2016 los, in Queens.
NZ: Was haben Sie mit Ihren Möbeln, Ihren Sachen gemacht?
Zeltner: Etwa 90 Prozent haben wir abgegeben, gespendet und auf die Straße gestellt. Am Ende hatte jeder einen Koffer und Emma eine kleine Kiste mit Spielzeug. Das war’s. Mit der Wohnung in Queens hatten wir Glück, die war sehr schön. Weil wir die Gegend kennenlernen wollten, sind wir super viel rausgegangen, haben uns die Finger wund gegoogelt und unsere Nachbarn ausgequetscht. Und dann haben wir ein "Neighbourhood-Dinner" veranstaltet und Leute aus der Gegend, Ladenbesitzer und Menschen, die in der Zeitung stehen, zum Abendessen eingeladen, um sie auszufragen. Eine Journalistin, die wir eingeladen hatten, hat über unser Projekt auf einem Lokalblog geschrieben. Nach diesem Artikel haben wir aus ganz vielen Ecken New Yorks Mails bekommen von Leuten, die unsere Idee cool fanden.
NZ: Wie sind Sie an die Wohnungen gekommen?
Zeltner: Am Anfang, wo es noch nicht so organisiert war, war es zum Teil schon vogelwild. Stell dir vor, du ziehst irgendwo ein und weißt noch nicht, wo du am nächsten Ersten wohnen wirst, und du musst auch noch arbeiten, hast ein zweijähriges Kind, Verpflichtungen. Da fängt man dann schon mal an, wie wild durch die Gegend zu suchen und zu fragen. Und am Anfang kann man auch noch nicht abschätzen, ob ein Angebot seriös ist. Da sind wir auch einmal auf die Schnauze gefallen, im Herbst. Wir hatten keine Wohnung gefunden, alles brach weg. Dann haben wir aus Not bei Airb’n’b einfach irgendwas gemietet. Das sollte man aber nie machen. Ich habe online eine Anzahlung gemacht für eine Wohnung, die überhaupt nicht existiert. Das war schon bitter. Aber wir haben daraus gelernt.
Christina Horsten: Es wurde vor allem auch immer besser. Die ersten Monate waren logistisch eine riesige Herausforderung, aber irgendwann wurde es dann ein Selbstläufer. Immer mehr Leute hatten von dem Projekt gehört und uns sogar Wohnungen angeboten. Am Ende haben wir echt gedacht, das können wir jetzt noch für ein Jahr weitermachen.
NZ: Lebt es sich in fremden Wohnungen nicht wie im Hotel?
Horsten: Nein, denn es waren immer Wohnungen von Leuten, die da wirklich gewohnt haben, aber gerade einen Monat nicht da waren. Das Schöne war: Wir haben oft nicht nur die Wohnungen von den Leuten übernommen, sondern auch ein bisschen deren Leben. In der Bronx etwa haben wir bei einem Künstlerpaar gewohnt, das einen Monat nach Europa gegangen ist. Die haben gesagt: "Hier sind die Kontakte von unseren Freunden, wir sagen denen mal, dass ihr da seid, die könnt ihr alle treffen."
Und es war auch einfach spannend zu sehen, wie andere leben. In New York haben die Menschen meist sehr kleine Wohnungen, weil alles so teuer ist. Da wird man nicht so oft wie in Deutschland zu irgendwem nach Hause zum Essen eingeladen. Felix und ich sind immer ziemlich neugierig, wie Menschen wohnen, und das hat uns ein bisschen die Chance gegeben, gleich vierzehn Wohnungen zu erforschen. Und für Emma gab es in einer ein Puppenhaus, in einer anderen ein Schlagzeug. Das war für sie immer wie ein riesiger neuer Spielplatz.
NZ: Vermisst man irgendwann dieses Nach-Hause-kommen-Gefühl?
Horsten: Es kam schon mal vor, dass ich gerade den einen Pulli anziehen wollte, der eingelagert war. Oder mir dachte, die Couch in dieser Wohnung ist so unbequem, ich würde gerne mal wieder auf meiner eigenen sitzen. Aber das waren nur Momente. Das große Ganze war immer aufregend. Das Tolle an diesem Umziehen ist, dass die ganzen kleinen Sachen, die man im Alltag macht, wieder aufregend werden. Also in den Supermarkt gehen oder ins Café um die Ecke. Denn ein Supermarkt in Harlem ist zu 100 Prozent anders als einer in Chinatown oder in Brooklyn.
Zeltner: Am Ende fiel es mir bei jedem Viertel schwer, wieder zu gehen. Dieser Begriff von "zu Hause" hat sich immer sehr schnell eingestellt. Auch bei Emma. Das hatte ich nicht erwartet, aber ihr war das immer wurscht – im positiven Sinn. Sie kam rein in eine neue Wohnung, da war ihre Spielkiste, wir waren da und damit war das Thema gegessen. Irgendwann hatte sie dieses Wort "neue Hause". Wir haben gesagt: Emma, morgen ist wieder neue Hause. "Neue Hause, cool." Dann stand sie vor der Tür: "Neue Hause?" Ja, das ist die neue Hause. Alles klar, rein, Tschüss. Es kam vielmehr darauf an, dass wir da waren und nicht darauf, dass sie jeden Tag die gleiche Bettwäsche hatte.
Wenn ich jetzt nach Nürnberg zurück ziehen würde, würde ich so etwas Ähnliches machen wollen. Ich habe 20 Jahre in Fischbach gelebt und bin erst zum Studium weggezogen. Jetzt würde ich mal in der Nordstadt wohnen wollen, mal in der Altstadt, vielleicht mal in einem Neubauviertel, mal in Gostenhof. Und dadurch rausfinden, wo ich mich wohlfühle.
NZ: Wie ging das mit dem ständigen Umziehen rein bürokratisch?
Zeltner: In den USA gibt es kein Einwohnermeldeamt. Wenn du für irgendwelche Ämter einen Wohnnachweis brauchst, nimmst du deine Stromrechnung mit. Für unsere Post haben wir uns gleich am Anfang ein Postfach im Grand Central eingerichtet, das ist der Hauptbahnhof in New York.
NZ: Gerade wohnen Sie fest in einer Wohnung. Aber Sie denken an eine Wiederholung. Gibt es konkrete Pläne?
Horsten: Wir sind ziemlich süchtig geworden. Es gibt auch so viele Viertel hier, in denen wir noch nicht gewohnt haben und in denen wir noch gerne wohnen würden. Gerade haben wir einen Mietvertrag für ein Jahr unterschrieben – in New York geht das immer nur so lang. Aber was das Umziehen angeht, sind wir viel entspannter geworden. Wenn es uns jetzt nicht gefällt, dann ziehen wir einfach aus und drehen noch eine Runde. Es war auf jeden Fall so schön, dass ich es gerne noch mal machen würde.
Hier geht's zum Instagram-Profil des Umzugsprojekts: https://www.instagram.com/nyc12x12/
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