Ansprache von Ulrich Maly

21.3.2013, 19:33 Uhr

Anrede,

drei Menschen sind in unserer Stadt den Morden der so genannten „Zwickauer Zelle“ zum Opfer gefallen: Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru und Ismail Yaşar. Diese Verbrechen haben uns schockiert. Wir trauern um alle Opfer des Neonazi-Terrors. Unsere Anteilnahme gilt den Angehörigen und Freunden, die durch diese schändlichen Gewalttaten geliebte Menschen verloren haben. Wir fragen uns, warum das nicht verhindert werden konnte und warum es Jahre brauchte, bis die Ermittlungsbehörden den Mördern auf die Spur kamen.

Wir stehen hier an der Straße der Menschenrechte. Im Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt es: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“. Dieses universelle Menschenrecht ist auch in unserem Grundgesetz verankert. Und es ist eine Garantie damit verbunden: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Bundespräsident Joachim Gauck hat jüngst darauf hingewiesen, dass dieses Versprechen an keine Bedingung geknüpft ist –  „an keine Herkunft, an keine Hautfarbe, keinen Pass, an keinen Glauben, auch nicht an einen bestimmten Lebenswandel“.

Wir sind beschämt, dass unser Staat dieses Versprechen nicht einhalten konnte. Mehr noch: Ich weiß aus Gesprächen mit den Angehörigen, was es bedeutet, dass die Opfer und ihre Angehörigen über lange Zeit ins Fadenkreuz der Ermittler gerieten, dass die Ermordeten im Nachhinein kriminalisiert wurden. Wir wissen heute, dass diese Annahmen jeglicher Grundlage entbehrten. Nicht nur den Opfern, auch den Hinterbliebenen ist so Unrecht widerfahren. „Elf Jahre durften wir nicht einmal reinen Gewissens Opfer sein“, sagte Semiya Şimşek bei der Gedenkveranstaltung am 23. Februar in Berlin. Das Versagen unserer Sicherheitsbehörden hat das Grundvertrauen vieler Menschen in den Rechtsstaat erschüttert. Dieses Grundvertrauen ist für eine freie, plurale Gesellschaft aber fundamental. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, dieses verlorengegangene Vertrauen wieder herzustellen. Dazu kann jeder von uns einen Beitrag leisten.

Wir alle müssen uns für ein respektvolles und solidarisches Miteinander einsetzen. Wir müssen sehr wachsam sein gegenüber allen Formen von Ausgrenzung, Menschenfeindlichkeit und Verächtlichmachung – sowohl in der großen Politik als auch im privaten Alltag.

Wenn wir heute am Ausgang der Straße der Menschenrechte Bäume pflanzen, drei für die drei Nürnberger Opfer und einen für alle die ungenannten und unbekannten Menschen, die zur Zielscheibe rechter Gewalt wurden, setzen wir nicht nur ein sichtbares, sondern auch ein lebendiges Zeichen der Erinnerung und der Mahnung. Es geht nicht um einen einmaligen symbolischen Akt. Mit der Übernahme der Patenschaft durch die Jugendorganisation des CVJM werden Erinnerung und Verantwortung in die nächsten Generationen getragen. Die vier Ginkgos sagen uns auch: Unser fried- und respektvolles Zusammenleben ist Gefährdungen unterworfen. Es liegt an uns, Toleranz zu leben und Zivilcourage zu zeigen.

Ausländerfeindlichkeit ist leider ein Alltagsphänomen: bei scheinbaren Kleinigkeiten, einem schnell dahingesagten rassistischen Spruch, über Zugewanderte und Flüchtlinge, über Menschen anderen Aussehens oder Glaubens. Wir finden so ein Verhalten leider an vielen Orten und bei vielen Gelegenheiten – in der Schule, beim Sport, beim Einkaufen, in der Disco. Wir dürfen die Augen nicht verschließen vor den Denkmustern, die den Nährboden bilden für rechtsextreme Einstellungen bis hin zur Gewalt.

Die pauschalen Zuschreibungen des vermeintlichen „Andersseins“, des „Wir“ und „Die“ und die damit verbundenen Abwertungen der Anderen beginnen oftmals im Elternhaus, in der Schule, innerhalb von Gruppen Gleichaltriger. Frühzeitige Begegnungen von Kindern und Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft sowie gemeinsame Aktivitäten und Projekte gehören zu den Maßnahmen, die die Verständigung und den Abbau von Vorurteilen und Stereotypen fördern. Das gehört zu einer notwendigen Kultur der wechselseitigen Anerkennung. Rechtsextremen und menschenfeindlichen Argumentionen wird damit der Nährboden entzogen.

Um die Bedeutung solcher Begegnungen und Projekte zu betonen und diese öffentlich zu würdigen und zur Nachahmung anzuregen, rufen wir zusammen mit dem Bayerischen Innenministerium einen interkulturellen Jugendpreis ins Leben. Er wird im Namen und zum Gedenken an die Opfer verliehen werden. Mit dem Preis wollen wir ein deutliches Zeichen gegen Diskriminierung und Intoleranz und für die Förderung des interkulturellen Dialoges und respektvollen Miteinanders von Kindern und Jugendlichen setzen.

Die Zwickauer Terrorzelle hat mit Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru und Ismail Yaşar Menschen aus unserer Mitte getötet. Sie waren und bleiben unsere Brüder.

Im Bewusstsein, dass keine Geste der Erinnerung den erlittenen Verlust und den Schmerz der Familien wird heilen können, aber in der Hoffnung und dem festen Willen, die schrecklichen Ereignisse als Auftrag für die Zukunft zu begreifen, wünsche ich mir, dass viele Menschen an den vier Bäumen für die Menschenrechte innehalten mögen und ihre Botschaft in ihr tägliches Handeln einschließen.

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