Ärger um "Critical Mass": War der Polizeieinsatz rechtmäßig?

Claudine Stauber

Lokalredakteurin Nürnberg

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3.8.2020, 15:54 Uhr
Das Bild, auf dem ein Polizeibeamter Luft aus einem Fahrrad lässt, teilte ein Teilnehmer der Critical Mass auf Twitter.

© Screenshot Twitter @SecretCoAuthor Das Bild, auf dem ein Polizeibeamter Luft aus einem Fahrrad lässt, teilte ein Teilnehmer der Critical Mass auf Twitter.

Bei der letzten — wie immer unangemeldeten — Radtour durch die Stadt haben Polizisten elf Radfahrern die Luft aus den Reifen gelassen. Für die Polizei ist das eine "ungewöhnliche Maßnahme" gegen uneinsichtige Bürger. Für die Aktivist(inn)en von "Critical Mass" (CM) war das ein massiver Übergriff, wenn nicht gar Sachbeschädigung. Wie berichtet, hat die Stadt letzte Woche davor gewarnt, die seit Jahren gewohnte monatliche Freitags-Tour per Rad auch während der Coronapandemie unangemeldet durchzuführen und auf den Infektionsschutz verwiesen. Es müsse klar sein, wann wie viele Radler wo unterwegs seien, hieß es im Ordnungsamt. Sprich: Die Radtour durchs Stadtgebiet müsse jetzt angemeldet und genehmigt werden.


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Doch "Critical Mass" beharrte auf der spontanen Protestform, die in der Vergangenheit immer genau so geduldet und von der Polizei nur zur Sicherheit begleitet worden war. "Selbstorganisation und Schwarmintelligenz" kennzeichneten die Bewegung, heißt es auf der einschlägigen Facebook-Seite. Es gilt als undenkbar, aus den eigenen Reihen einen Versammlungsleiter zu stellen. Doch genau das verlangt das Demonstrationsrecht. Trotz der Appelle trafen sich laut Polizei am vergangenen Freitag etwa 150 Teilnehmer am Opernhaus, wo die Veranstaltung sofort aufgelöst wurde. Ein Großteil der Menschen habe den Platz verlassen, so die Polizei. Man habe bei dann Personalien aufgenommen, weil Verstöße gegen das Infektionsschutzgesetz vermutet wurden, und 40 Platzverweise ausgesprochen.

In mehreren Gruppen starteten CM-Akteure dann in verschiedene Richtungen. An der Münchener Straße schließlich wurde eine Radlergruppe von Beamten angehalten, die nach Angaben der Polizei durch rücksichtslose Fahrweise und Rotlicht-Verstöße aufgefallen war. An den Rädern von elf Teilnehmern öffneten die Beamten die Ventile, so dass die Reifen platt wurden. Ein Video, das den Vorgang zeigt, hat sich im Netz mittlerweile viral verbreitet. Das sei entschieden zu weit gegangen, kommentiert der verkehrspolitische Sprecher der Grünen, Mike Bock, das Eingreifen der Ordnungshüter. Er sei Zeuge gewesen und hoffe, dass der Vorgang politisch und juristisch aufgearbeitet werde.


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In anderen Städten seien unangemeldete "Critical Mass"Umzüge auch während der Pandemie unbehelligt geblieben. Bock hofft, dass die Stadt "die Fahrradfahrer nicht als Gegner, sondern als Verbündete für die Verkehrswende" sieht. Er werde bei der nächsten "Critical Mass" Ende August wieder mitfahren, "dann aber mit Luftpumpe und Ersatzventil". In einer Anfrage an den Bayerischen Landtag bezweifeln die Nürnberger Grünen-Landtagsabgeordneten Verena Osgyan und Tessa Ganserer die Rechtmäßigkeit des Einsatzes an der Münchener Straße. Laut Bundesgerichtshof gelte das Ablassen von Luft aus Fahrradreifen als Sachbeschädigung, wenn ein Aufpumpen vor Ort nicht möglich ist. Der geforderte Mindestabstand sei außerdem "schon durch die Bauart eines Fahrrades" garantiert, so die Abgeordneten.

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