Millionenklage
Asylunterkünfte: Stadt Nürnberg verliert Millionenklage
21.5.2021, 05:51 UhrErst wurde eilig gebaut und vermietet, dann blieben die Flüchtlinge aus. In den 41 städtischen Gemeinschaftsunterkünften haben 4501 Menschen Platz, doch derzeit leben dort nur 2152 Personen - die Unterkünfte sind zu knapp 48 Prozent ausgelastet. Diese Zahlen wurden im Herbst 2020 im Sozialausschuss des Stadtrats festgehalten, wie Volker Wolfrum, Chef des Sozialamts der Stadt Nürnberg, bestätigt.
Doch nun wird es trotzdem teuer. Denn vor Gericht wird um alte Beherbergungsverträge gestritten – und die Stadt hat eine Millionenklage verloren. Zankapfel ist ein Gebäude mit 44 Zimmern am Nordwestbahnhof, der Nürnberger Unternehmer Gerhard H. (Name geändert) hatte es sich ursprünglich als Hotel mit 94 Betten genehmigen lassen.
Hotel als Asylbewerberheim vermietet
Im November 2016 erreichte Hotelier Gerhard H. eine Umnutzung: Er konnte das Gebäude als Asylbewerberheim vermieten. Es war die Zeit, in der Turnhallen zu Notunterkünften wurden und 250 Menschen pro Woche in Nürnberg ankamen, die einen vom "Sommer der Migration" sprachen, die anderen von "der Flüchtlingskrise".
Nie zuvor seit der Nachkriegszeit kamen so viele Schutzsuchende nach Deutschland. Die Zahl der Anträge auf Asyl erreichte im Jahr 2016 mit 772.320 Erstanträgen ihren Höhepunkt. Erst nach der Einrichtung von Grenzbarrieren auf der Balkanroute kamen wieder deutlich weniger Flüchtlinge.
Abschiebung: Flüchtlingshelfer in Nürnberg erheben schwere Vorwürfe
Die Aufgabe, so viel ist klar, war groß. Die Stadt Nürnberg entschied damals, keine Asylsuchenden in Wohnungen oder Wohnhäusern unterzubringen, schließlich war der Wohnungsmarkt schon angespannt, bevor die Flüchtlinge ankamen. Doch die Stadt musste schnell handeln, war auf der Suche nach Wohnraum und dabei gerieten einige Vermieter in Goldgräberstimmung.
Beherbergungsverträge: Tagessatz von 28 Euro
Statt Mietverträge wurden so genannte Beherbergungsverträge geschlossen und in diesen wurde pro Person ein durchschnittlicher Tagessatz von 28 Euro oder 850 Euro pro Monat vereinbart. Diese Verträge stimmte das Sozialamt mit der Stadtspitze, dem Oberbürgermeister, dem Stadtkämmerer und der Regierung von Mittelfranken ab - denn in Bayern betreut der Freistaat die Flüchtlinge während des Asylverfahrens. Erst wenn die Asylbewerber einen Aufenthaltsstatus erhalten, tragen die Städte und Gemeinden die Kosten.
Als die Zahlen im Jahr 2017 sanken, bemühte sich die Stadt, die teuren Beherbergungs- in günstigere Mietverträge umzuwandeln, um den Steuerzahler zu entlasten. Den Vermietern wurde die Idee mit einer Mietlaufzeit von fünf Jahren schmackhaft gemacht. Dieser Deal gelang den Verantwortlichen im Sozialamt damals mit den meisten Vermietern, nicht aber mit dem Unternehmer Gerhard H.
Er erhielt laut Beherbergungsvertrag für seine Leistungen sogar einen noch höheren Tagessatz pro Person. 32 Euro Tagessatz pro Person und Nacht wurden vereinbart, ab 1. Juli 2016 verpflichtete er sich bis zu 140 Asylbewerber unterzubringen.
Corona stellt Asylbewerber vor neue Herausforderungen
"Das Entgelt", so heißt es im Vertrag, "wird durch das Amt für Existenzsicherung und soziale Integration – Sozialamt – nach monatlicher Rechnungsstellung überwiesen". Und: "Die Stadt sichert eine dreijährige Belegungsinanspruchnahme zu durchschnittlich mindestens 85 Prozent der Gesamtkapazität zu."
Entgangene Miete, kaputte Schränke, entwendete Betten
Nun rechnete Gerhard H. erst im Landgericht Nürnberg-Fürth und schließlich in zweiter Instanz beim Oberlandesgericht Nürnberg vor: Zwar erfolgte die Nutzungsänderung erst im November 2016, doch im September und im Oktober 2016 standen bereits 140 Betten in der Unterkunft, er habe daher Anspruch auf 76.128 Euro aus der vereinbarten Mindestbelegungsgarantie. Jahre später zogen, entgegen der ursprünglich zugesicherten Belegung, nicht mehr genügend Asylbewerber ein.
Für die Monate Oktober 2018 bis Januar 2019 forderte er entgangene Miete über 575.008 Euro, dazu für kaputte Schränke und entwendete Betten 6.600 Euro Schadenersatz, und 11.500 Euro, weil er Müll entsorgen musste, als Bewohner auszogen.
Die 4. Zivilkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth hat ihm 575.008 Euro plus Zinsen zugesprochen. Die Forderungen für die Monate September und Oktober 2016 wies das Gericht ab, ebenso die Schadenersatzforderungen und die Müllentsorgungskosten.
Stadt Nürnberg zieht vor den BGH
Die Stadt Nürnberg hatte vergeblich versucht, zumindest die Belegungszahl der Unterkunft anzugreifen und damit die Summe zu reduzieren. Aus ihrer Sicht standen im Flüchtlingsheim nicht 140 Plätze, sondern nur 96 Plätze zur Verfügung. In den Richtlinien zur Größe und Ausstattung von Gemeinschaftsunterkünften für Asylbewerber ist bestimmt, dass pro Person sieben Quadratmeter Wohn- und Schlafraumfläche zur Verfügung stehen. Die Stadt argumentiert, dass Balkone und Bäder nicht einberechnet werden, die Fläche dadurch erheblich sinkt und damit auch weniger Menschen in dem Heim leben durften. Das Landgericht Nürnberg-Fürth und das Oberlandesgericht Nürnberg hat dies nicht überzeugt.
Der Rechtsstreit geht weiter
Doch der Rechtsstreit geht weiter, die Stadt hat Revision eingelegt. Zwischenzeitlich hat Gerhard H. in einem zweiten Zivilverfahren gegen die Stadt Nürnberg gesiegt, das Landgericht Nürnberg-Fürth sprach ihm weitere 757.792 Euro für entgangene Miete von März bis September 2019 zu. Der Kläger hatte, um sein Klagerisiko zu reduzieren und Gerichtskosten zu sparen, die Klagen aufgeteilt.
Nun liegen die Akten beim Bundesgerichtshof.