Vor 40 Jahren fertiggestellt

Attraktion oder Ärgernis? Der Wöhrder See erlebt ein schwieriges Jubiläum

Ngoc Nguyen

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23.7.2021, 05:51 Uhr
Was viele bei diesem Anblick vergessen: Der Wöhrder See dient vor allem dem Hochwasserschutz für die Altstadt.

© Roland Fengler Was viele bei diesem Anblick vergessen: Der Wöhrder See dient vor allem dem Hochwasserschutz für die Altstadt.

Das Bollwerk war mit 517.000 Quadratmetern riesenhaft in seinen Ausdehnungen, schließlich sollte es, so die Hoffnung, Nürnberg für alle Zukunft vor Hochwassern bewahren. Bis Anfang der 1980er Jahre verzeichnete die Chronik Nürnbergs 85 mittlere, 45 große und elf katastrophale Überschwemmungen.

So sah es im Februar 1909 in Nürnberg aus: Sogar der Hauptmarkt meldete "Land unter", der Schöne Brunnen (links) und der Neptunbrunnen sind von den Fluten umgeben.

So sah es im Februar 1909 in Nürnberg aus: Sogar der Hauptmarkt meldete "Land unter", der Schöne Brunnen (links) und der Neptunbrunnen sind von den Fluten umgeben. © e-arc-tmp-20170226_182137-10.jpg, NN

Dazu gehört das traumatisierende Hochwasser im Jahr 1909, das die Altstadt überschwemmte. Die historischen Fotos vom überfluteten Hauptmarkt und dem von Wasser eingeschlossenen Schönen Brunnen jagen Schauer über den Rücken.

Der Norikus, das mächtige Hochhaus mit der markanten Architektur, ist das Wahrzeichen des Wöhrder Sees. Diese Postkarte mit den Windsurfern stammt aus dem Jahr 1972.   

Der Norikus, das mächtige Hochhaus mit der markanten Architektur, ist das Wahrzeichen des Wöhrder Sees. Diese Postkarte mit den Windsurfern stammt aus dem Jahr 1972.    © e-arc-tmp-20190909_120340-3.jpg, NNZ


Fakten und Zahlen: Der Wöhrder See, ein Stausee im Osten Nürnbergs, verdankt seinen Namen dem Stadtteil Wöhrd. Er ist etwa 2,6 Kilometer lang, zwischen 100 und 200 Meter breit und umfasst eine Fläche von 25 Hektar. Im Jahr 1959 beschloss der Stadtrat, den Wöhrder See als Hochwasserschutz für die Nürnberger Altstadt anzulegen, Fertigstellung war 1981. Am westlichen Ende wurde ein Kraftwerk errichtet, es ist eines der fünf kleinen Wasserkraftwerke, die in der Stadt betrieben werden. Das gesamte Areal um den Wöhrder See ist eines der 19 Landschaftsschutzgebiete Nürnbergs, ein weiteres ist zum Beispiel der Schmausenbuck. Das Pegnitztal Ost ist mittlerweile zum Naturschutzgebiet erhoben worden. 2011 wurden die Umbaumaßnahmen für das Projekt Wasserwelt Wöhrder See beschlossen. Das Projekt soll den See attraktiver machen, dem Artenschutz dienen und den Hochwasserschutz sichern.



Derartig geplagt, beschlossen die Stadtoberen 1959, die Pegnitz zu bändigen. In den Flussauen im Osten, deren Landschaft von Bombentrichtern aus dem Zweiten Weltkrieg gezeichnet war, sollte ein Stausee angelegt werden.

Wenn der Wöhrder See zur Eisfläche wird, kommt halb Nürnberg - ein lebensgefährlicher Spaß, leider!

Wenn der Wöhrder See zur Eisfläche wird, kommt halb Nürnberg - ein lebensgefährlicher Spaß, leider! © Stefanie Goebel, NNZ

1981 wurde der Schutz gegen die Fluten fertiggestellt. Stadt, Land und Bezirk brachten dafür 22,8 Millionen Deutsche Mark auf. Der Stausee mauserte sich in Jahrzehnten zu einem kleinen, innerstädtischen Paradies.

Erinnerungen Teil I

Redakteurin Isabel Lauer ist in der Wohnanlage am Südufer großgeworden. Sie erinnert sich: „Aus meinem Kinderzimmer sah ich zur rechten Hand die Nürnberger Burg und links den dampfenden Schlot des Paladin-Milchwerks. Lang ist’s her. Der Panoramablick in unserer niedrigen dritten Etage des Norikus-Hochhauses ist heute zugewachsen von den Pappeln, die am Seeufer in den Himmel geschossen sind. Der Milchhof wurde erst Ruine und dann verschwand er. Und das sind nicht die einzigen Veränderungen.
Um 1980 gab es zwar Freizeit im neuen Nürnberger Grünzug, aber keinen Freizeitdruck. Das Wort war nicht erfunden, und man hätte es auch gar nicht verstanden. Massenpicknicks machte niemand, Essen erledigte man zu Hause oder im Restaurant, sofern man nicht gerade zeltete.

2016 wurde die neue Badebucht erstmalig geflutet, sie gehört zur "Wasserwelt Wöhrder See". Dabei waren der damalige Oberbürgermeister Ulrich Maly (links) und Markus Söder, damals Finanzminister.

2016 wurde die neue Badebucht erstmalig geflutet, sie gehört zur "Wasserwelt Wöhrder See". Dabei waren der damalige Oberbürgermeister Ulrich Maly (links) und Markus Söder, damals Finanzminister. © G?nter Distler, NNZ

Spazierengehen, ja, natürlich, das gab es. Kam Besuch zu uns, war die See-Umrundung Pflicht, auch wenn meine Eltern bei sehr gutem Sonntagswetter „Völkerwanderungen“ beklagten. Ich langweilte mich dabei oft, aber immer schwang Stolz darüber mit, in einer Stadtwohnung so viel Natur vor der Haustür zu haben. Der Wöhrder See, den die Norikus-Bewohner als ihren Vorgarten betrachten, bot sich schon immer an für Trendsportarten und Körperkult. Es gab eine Rollschuhbahn, deren bescheidenes Gefälle heute keinen Kick mehr verspricht. Windsurfer setzten Farbtupfen aufs Wasser. „Laufen“ hieß damals noch „Joggen“. Irgendwann kamen Tretboote hinzu, später kurz mal ein Biergarten. Und einmal im Jahr duftete beim Wöhrder Seefest alles appetitlich nach Cevapcici und Paella.

Wo Menschen gerne verweilen, scheinen Müllberge die unbedingte Folge zu sein. So wie hier am Nordufer des Wöhrder Sees sieht se auch am Südufer aus.

Wo Menschen gerne verweilen, scheinen Müllberge die unbedingte Folge zu sein. So wie hier am Nordufer des Wöhrder Sees sieht se auch am Südufer aus. © Stefan Hippel, NNZ

An den Gestank der Algen, die die berühmte „Mähkuh“ bergeweise ans Ufer schaffen musste, erinnere ich mich dagegen kaum, ich zähle ihn nur der Vollständigkeit halber auf. Das Beste im Sommer für uns Kinder waren die eiskalt gefüllten Wassergräben. Für die Einrichtung dieses herrlich liberalen Spielplatzes bin ich der Stadtverwaltung ewig dankbar. Das Beste im Winter: wenn der See zufror und halb Nürnberg zum Schlittschuhlaufen erschien. Lebensgefährlich, leider! Etwas los war also immer wieder. Aber dazwischen kehrte lange Ruhe ein, unterbrochen nur von den Schreien der Möwen. Das sollte sich für immer ändern.“

Schlamm und Algen

Der Wöhrder See war nämlich lang, aber seicht: im Schnitt kaum zwei Meter tief. Verlandung und Algenplage machten dem Kunstsee zu schaffen. 2011 gab der damalige Finanzminister Markus Söder den Startschuss für den Bau der „Wasserwelt Wöhrder See“ mit Badebucht, Inseln, einer Fischtreppe und vielem mehr.

Der Freistaat investierte bisher 16 Millionen Euro, dazu kommen Maßnahmen der Stadt: Zum Beispiel entstand am Südufer der schönste Wasserspielplatz Nürnbergs. Die „Wasserwelt“ ist noch nicht fertig, liegt aber im Zeitplan. 2023 folgt die Renaturierung des Altwassers nahe der Dr.-Carlo-Schmid-Straße und ein Jahr später kommen die Naturbeobachtungspunkte am Oberen Wöhrder See dazu.

Erinnerungen Teil II

Isabel Lauer: „Bagger gruben vor zehn Jahren mit Getöse den See und die Ufer um, Bautrupps legten Promenaden und Strände an. Auf der Norikus-Seite darf man seitdem schwimmen gehen. Der neue Spielplatz ist auch ohne Wassergräben richtig schön geworden. Man kann sich auch mal eine Limo und ein Stück Kuchen holen. Aber an heißen Tagen gibt es jetzt zu viel von allem: Eiskäufer, Hunde, Körper, Sonne, Autos, Straßenbahnfahrgäste, Gänse, Gänsedreck, Flaschen, Gaudi bis tief in die Nacht. Das strapaziert die Anwohner enorm. Es ist die Kehrseite der Verschönerung.

Und doch: Der neue Wöhrder See bietet ein Stück „Dolce Vita“. Jeder darf kommen und muss nicht einmal Geld ausgeben. Ich freue mich darüber und finde, dass eine Großstadt das verträgt. Wenn ich an den silbernen Kugeln des Windspiels vorbeikomme, an die ich mich als Kind so gerne zum Kreiseln klammerte, muss ich nur die Augen schließen und sehe ihn wieder: meinen alten See, an dem die Bäume und die Bedürfnisse kleiner waren.“

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