Auch in Nürnberg leben Menschen vom "Containern"

22.6.2017, 06:00 Uhr
In Deutschland gibt es Tausende Menschen, die sich ihre Lebensmittel aus Containern holen. Legal ist das aber nicht. (Symbolbild)

© REUTERS/Fabrizio Bensch In Deutschland gibt es Tausende Menschen, die sich ihre Lebensmittel aus Containern holen. Legal ist das aber nicht. (Symbolbild)

Steffi hat früher im sozialen Bereich gearbeitet. Heute ist die 38-Jährige, die seit acht Jahren in Nürnberg lebt, berufsunfähig. Über ihre Rente streite sie noch mit der Versicherung, sagt die aus Ostdeutschland stammende Frau. Wegen der finanziellen Einschränkung habe sie sich gefragt, wo sie sparen könne. Von einem Bekannten erfuhr sie, dass er regelmäßig "containern" geht, also Mülltonnen nach weggeworfenen, aber noch essbaren Lebensmitteln durchsucht. "Das kann ich auch", dachte sie.

Seit einigen Wochen zieht nun auch Steffi (alle Namen geändert) fast jeden Tag los, um mehrere Supermärkte, Lebensmittelgeschäfte und Bäcker in der Südstadt abzugrasen. Steffi wartet nicht auf den Schutz der Dunkelheit, weil sie dann nicht so gut sehen kann, was im Abfallcontainer liegt. Manchmal bemerken die Mitarbeiter der Geschäfte sie an den Tonnen, dulden das aber. "Ich mache nichts dreckig und lasse immer was für andere übrig", erklärt sie ihren Grundsatz.

Containern spart viel Geld

Von ihren "Beutezügen", die zwischen wenigen Minuten und ein bis zwei Stunden dauern können, bringt Steffi Obst, Gemüse, manchmal große Tüten voller Backwaren mit nach Hause in ihre WG.

"Das ist wie jagen und macht ein bisschen süchtig", erzählt sie. Ihre Ausrüstung: Waschbare Tragetaschen und Nordic-Walking-Stöcke, um bis auf den Grund der Tonnen nach Weggeworfenem angeln zu können. An einem Tag findet sie eingeschweißte Bratwürste und Milchkartons, am nächsten kiloweise Bananen.

Seitdem sie containert, spart sie viel Geld. Die geretteten Lebensmittel verarbeitet Steffi schnell, bevor sie verderben. Was sie selbst nicht braucht, verschenkt sie - häufig über eine Facebook-Gruppe. Wer Interesse hat, meldet sich bei ihr und holt die Sachen ab. "Teilen und Tauschen finde ich wichtig", betont Steffi. Klar, geht es ihr auch ums Sparen. Vor allem aber gefalle es ihr nicht, dass so viele Lebensmittel einfach weggeworfen werden. "Ich sehe mich als moderne Robin-Hood-Frau", scherzt sie. Als sie eine ganze Ladung Tiefkühlpizzen fand, gab sie die an Nachbarn weiter.

Wertschätzung von Lebensmitteln

Für Paul ist das Containern fast schon eine politische Angelegenheit. Ein bisschen "ziviler Ungehorsam" gehört für den 45-jährigen Nürnberger dazu. Zweimal in der Woche geht er auf die Mülltonnen-Jagd, vieles verschenkt er. "Es gibt genug Leute, die sich nicht trauen, selbst zu containern, aber Hunger haben", so seine Motivation. Auch er findet die Abnehmer meist über Facebook.

Es sei "brutal", was er in den Tonnen alles entdecke: Überwiegend Gemüse, aber auch Fleisch - was er aber nur im Winter mitnehme und nur, wenn die Schutzhülle unbeschädigt ist - bis zu Dutzenden Schnittblumen aus Kenia, mit denen er seine Wohnung dekoriert und anderen Menschen eine Freude gemacht hat. Seit eineinhalb Jahren geht Paul regelmäßig abends auf Tour, vor allem freitags, weil da noch mal die Regale leergeräumt würden, "da am Samstag die Mittelschicht einkauft.“

Beim Containern hält sich Paul an eine Art "Ehrenkodex": keine Zäune überklettern, kein Schloss aufbrechen, keine Säcke ausleeren, keinen Dreck hinterlassen. "Niemand soll hinter mir her putzen müssen." Paul trifft unterwegs manchmal Container-Kollegen: Der Jüngste ist 19 und ideologisch motiviert, der Älteste ist ein 60-Jähriger, bei dem er eher finanzielle Engpässe vermutet. Ihm selbst geht es um die Wertschätzung von Lebensmitteln.

Doch auch Paul muss von wenig Geld leben, seit er sich um eine Angehörige kümmert und deshalb keiner Erwerbsarbeit nachgehen kann. Nur seine Miete und die Nebenkosten seien vom Amt abgedeckt. Bald will er aber eine Lehre zum Logistiker abschließen und hofft dann auf eine feste Anstellung, in der Branche war er früher bereits tätig. Doch das Lebensmittelretten wird er nicht aufgeben: "Das macht einfach Sinn."

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