Auf Zeitreise: Den Geheimnissen der Stadtmauer auf der Spur
30.8.2019, 15:56 UhrDie Zeitreise geht rund 800 Jahre zurück und erzählt von windigen Gestalten, Kinderarbeit, genialen Konstrukteuren genauso wie von stolzen Bürgern, pfiffigen Stadträten und eifersüchtigen Grafen.
Die ersten Fragmente der inneren Mauer dürften im 14. Jahrhundert gebaut worden sein, auf sandigem Untergrund, der mit den Mitteln der damaligen Zeit am Wegsacken gehindert werden musste. "Wahrscheinlich haben unten am Fundament kleine Menschen, vielleicht auch Kinder, gearbeitet", meint Gregor Stolarski, seit mehr als 25 Jahren Bauingenieur im baukonstruktiven Denkmalschutz und einer der besten Kenner der Stadtmauer und ihrer Geschichte. Bis zu drei Meter tief gruben sie damals in die Erde, um das Fundament zu setzen, gefährlich in einem Gebiet, in dem der Sandboden locker nachrutschen und alles verschütten konnte.
Mehr als zwei Meter breit ist die äußere Mauer unten am Sockel, verjüngt sich dann bis zur Krone auf etwa 80 Zentimeter. "Das war damals alles nach Nürnberger Maß, also wahrscheinlich Werkschuh oder Werksrute gemessen und gebaut", so Fachmann Stolarski.
Mauer hat Kriegswunden und Narben
Patricia Koch hat beeindruckende historische Aufnahmen dabei, die Bauingenieurin ist Projektleiterin bei der Stadt für die historische äußere Stadtmauer. "Ich versuche demütig, das zu erhalten und behutsam zu restaurieren, mit Respekt vor dem Bauwerk und den Baumeistern." Repariert wurde immer, manche Jahreszahl ist in Stein gemeißelt. Heute wird immer wieder vorsichtig angebohrt, einmal um Anker zu setzen, aber auch, um das Innenleben der Mauer zu erkunden.
Dokumentiert sind Abstürze der Mauer in den Jahren 1903 und 1971, damals am Maxtorgraben. Repariert wurde mit den Mitteln und Kenntnissen der jeweiligen Zeit. "Nach dem Krieg sind Steine von den zerstörten Gebäuden am Hauptmarkt verwendet worden, um die Ausbrüche zu schließen. Das war eine Art 'Trümmerbeton', eine Mischung mit wenig Zement und viel Bauschutt, damit hat man damals notdürftig ausgebessert." Die Mauer hat Kriegswunden und Narben, manche kleinen Löcher sind von mittelalterlichen Steinmetzen angelegt worden, um die Steine zu heben und zu versetzen. Andere Löcher sehen aus wie nach Maschinengewehrfeuer. Verschiedenfarbig leuchtet der Sandstein, Flächen aus Ziegelsteinen unterbrechen die Struktur.
Um dieses viele Tausend Tonnen schwere Gemäuer stabil zu bekommen, mussten die ersten Baumeister etliche Kniffe anwenden. Stolarski geht ein Stück hinter dem Westtor zu einem kleinen Loch in der Mauer. Ein "Kellergang" oder Bunkerausgang. An anderen Stellen verbergen sich große Hohlräume im Gemäuer. "Diese Räume waren bewusst leer gelassen, sie haben Druck vom Bauwerk genommen. Grundsätzlich wurde historisch stellenweise so gegen den Sanddruck gebaut, dass hinter der Mauer kleine Hohlräume entstanden, die – gewollt oder zufällig – eine Entlastung für die Mauer brachten." Spätere Generationen haben einige dieser Räume fast panisch aufgefüllt, um Abstürze der Mauer zu verhindern.
Windiger Halodri war am Werk
Vermutlich mit Versuch und Irrtum, also Einsturz, lernten die Erbauer, was funktionierte und was nicht. Um dieses Wissen nicht in falsche Hände geraten zu lassen, durften an der Stadtmauer nur bestimmte Baumeister arbeiten und auch die Reparaturplomben anbringen. Allein 70 Steinmetze und den städtischen Eichmeister verzeichnet eine Chronik um 1538 beim Ausbau.
"Bereits mit dem Bau der ersten Stadtmauern hat die Stadt vom Kaiser erwirkt, dass sie selbst für den Erhalt der Mauer sorgen durfte", erzählt Stolarski, während sein Blick zur Mauerkrone schweift. Selbstbewusst hatte der Rat der Stadt das überlegt und auch den finalen Ausbau im 16. Jahrhundert mit etwas geldwerter Nachhilfe bekommen. In Folge schwärzte ein ziemlich stinkiger Ansbacher Markgraf die Stadtväter beim Kaiser an ob ihrer Eigenständigkeit und überzog sie mit wütenden Klagen.
Im Jahr 1538 berichtet eine Urkunde von der fachmännischen Begehung der Stadtmauer durch vier Städtische Baumeister und einer Aufnahme aller nötigen Reparaturen. Und zu dieser Zeit kommt auch der etwas windige Hallodri ins Spiel, Antonio Fazzuni. Der gebürtige Malteser verkauft sich dem Rat als derart gewiefter und kundiger Experte in Sachen Befestigungsanlagen, dass dieser ihn zu einem fürstlichen Honorar einkauft und mit der Ertüchtigung der Wehranlagen betraut.
Zackenbauweise verhindert Klettern
"Als Erstes beauftragt er einen Handwerker, ihn komplett mit neuen Zeichenutensilien, wie Zirkel auszustatten, die er danach auch noch feuervergolden lässt", hat Stolarski in alten Unterlagen gefunden. "Und das Beste, die Rechnung lässt er eiskalt an die Stadt schicken." Doch der Malteser hatte die Räte so von seiner Kunst des Festungsbaus überzeugt, dazu die Angst vor Kanonen und Schwarzpulver geschürt, dass er den Auftrag zum Entwurf der Bastionen im Norden und Westen bekommt.
Auch ein Gutachten von ihm aus dem Jahr 1542 über die gesamte Stadtbefestigung ist erhalten. Dass der gelehrte Herr seine Mägde dermaßen malträtierte, dass sie nach Fürth flohen, ist eine Randnotiz seines Wirkens in der freien Reichsstadt. "Richtig interessant wird es auf dem Weg hin zur Burg", versprechen die Mauerexperten. "Hier, die Zackenbauweise, die hat verhindert, dass man die Fugen zum Klettern nutzen und ebenso, dass man Leitern anlegen konnte", erklärt der Ingenieur die Form der Sandsteine gegenüber der Burg, die wie kleine vorstehende Dächer gemeißelt sind.
Gemäuer mit Ohren
Doch vor allem der Untergrund hat die Fachleute elektrisiert. "Das Fundament der Mauer ist hier in den Sandstein hinein gebaut", zeigt Gregor Stolarski und verweist auf die ansteigende Linie des Bodens. "Man erkennt das daran, dass die quer verlaufenden Lagerfugen nicht mehr parallel zum Boden verlaufen. In den stark verwitterten Burgsandstein wurde eine Rinne gehauen und ein härterer Sandstein wie ein Riegel hineingesetzt, auf dem die Mauer ruht."
Sollten sich Feinde unter den Befestigungen durchgraben, um die innere Mauer zu sprengen, konnte man das hören, da der Stein den Schall leitete. Im sandigen Untergrund hätte man es nicht mitbekommen. Auch, dass die Mauersteine in Sichtqualität bis hinunter zum Fundament gehen, ist sehr ungewöhnlich. "Vermutlich wurden damit die Steinmetze getäuscht, um nicht verraten zu können, wie tief die Mauer verankert war." Ein Geheimnis, das bei der vorsichtigen Ertüchtigung der Mauer vielleicht irgendwann ans Tageslicht kommt.
Keine Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen