Aus Sorge vor Corona-Infektion: Patienten meiden Arztpraxen

Ute Möller

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23.5.2020, 05:42 Uhr

"Viele Patientinnen und Patienten gehen nach wie vor aus Angst vor einer Infektion mit dem Corona-Virus auch dann nicht zum Arzt, wenn sie Beschwerden haben." Dr. Veit Wambach, Vorstand des Nürnberger Gesundheitsnetzes QuE, in dem 117 Haus- und Fachärzte organisiert sind, schlägt Alarm. Die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB) ruft ebenfalls dazu auf, wieder wie vor dem Shutdown zum Arzt zu gehen und auch Vorsorgetermine wahrzunehmen.

"Wer chronisch krank ist oder akute Beschwerden hat, sollte auf keinen Fall aus Angst vor Corona nicht zum Arzt gehen", appelliert Veit Wambach. Das Risiko, sich im Wartezimmer anzustecken, sei sehr gering, wenn auf einen Abstand von 1,5 Metern geachtet wird und Patienten wie Personal Masken tragen. Infektionssprechstunden sollen zudem dafür sorgen, dass Menschen mit einem erhöhten Risiko, an Covid-19 erkrankt zu sein, getrennt von den anderen Patienten untersucht werden. Ende März haben auch in der Praxis des Allgemeinmediziners viele ihre Termine abgesagt, "wir müssen aber sicherstellen, dass chronisch Kranke keine Komplikationen bekommen." Menschen mit Diabetes zum Beispiel müssten alle drei Monate ihre Werte kontrollieren lassen, auch in der Corona-Krise.

Im Praxisnetzwerk QuE ging im April die Zahl der gesetzlich versicherten Patienten um fast 30 Prozent und die der Privatpatienten um über 40 Prozent zurück. "Dass mehr Privatversicherten in der Krise den Gang in die Praxis scheuen ist ein allgemeines Phänomen", sagt Wambach.

80 Prozent weniger Untersuchungen

Die KVB hat errechnet, dass Hausärzte seit Mitte März im Vergleich zum Vorjahr 80 Prozent weniger Untersuchungen zur Früherkennung durchgeführt haben. Frauenärzte behandelten in den letzten beiden Märzwochen nur halb so viele Patientinnen und die Augenärzte rechneten nur ein Drittel der Grundleistungen im Vergleich zu 2019 ab. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) spricht von einem "deutlichen Rückgang" von Patienten mit Schlaganfall- oder Herzinfarktsymptomen in Praxen und Notfallambulanzen. "Wir haben einige wenige tausend Infizierte und Erkrankte an Corona, aber wir haben viele hunderttausende Menschen mit schweren chronischen Krankheiten, die dringend auch weiterhin in ärztliche Behandlung gehören", sagt der stellvertretende KBV-Vorsitzende Stephan Hofmeister.


Ärzte in der Corona-Krise: An der Grenze der Belastbarkeit


Während Verbände zurück wollen zu einem Regelbetrieb in den Praxen und die Menschen aufrufen, wieder zur Vorsorge zu kommen, beklagen Patienten, dass sich durch Corona das Terminproblem bei Fachärzten noch verschärft habe. In der Unabhängigen Patientenberatung Berlin gingen Mitte März viele Beschwerden zu diesem Thema ein, berichtet der ärztliche Leiter Dr. Johannes Schenkel.

"Anrufer kritisierten außerdem, dass Praxen schlecht auf die Krise vorbereitet waren, es an Schutzkleidung fehlte und das Personal unsicher war, wie es mit Infizierten umgehen soll." Viele Menschen seien irritiert und unsicher gewesen, wie sie die Arztpraxen noch nutzen können. Hinzu komme, dass einige Praxen, vor allem privatärztliche, bis auf die Versorgung von Notfällen den Betrieb komplett eingestellt hätten.

Ob all dies dazu führte dass Patienten jetzt zurückhaltend auf den Aufruf der Mediziner reagieren, wie gewohnt den ärztlichen Rat zu suchen, kann Schenkel nicht sagen. Es gebe zwei Kategorien von Patienten. Die einen hätten Angst in ein Gesundheitssystem zu gehen, in dem die Gefahr einer Ansteckung besteht oder sie vielleicht in der Krise nicht gut behandelt werden. Die zweite Gruppe umfasse all die Patienten, die einen OP-Termin hatten oder auf eine Krebsbehandlung eingestellt waren, die dann wegen der Krise verschoben wurden. "Die Menschen leiden darunter."

Seit Beginn der Krise gilt: Vor jedem Arztbesuch muss angerufen und mit dem Praxispersonal besprochen werden, ob und wann man kommen soll. Gerhard Ditl hat seit März am Telefon mehrfach gehört, dass er derzeit nicht erwünscht ist. Sein Vorsorgetermin beim Augenarzt wurde auf September verschoben, "auch meine Schwiegermutter, die unter grünem Star leidet, muss warten." Die Begründung der Sprechstundenhilfe: Sie habe ja noch Augentropfen daheim.

Der Hautarzt vertagte die Vorsorgetermine ebenso wie der Gynäkologe von Ditls Frau. "Uns ist Prävention wichtig, wenn uns erst wieder Termine in vier Monaten angeboten werden, verstehen wir das nicht", sagt der 51-jährige Oberasbacher.

Während niedergelassene Ärzte um das Vertrauen der Patienten werben, sind die Notfallbehandlungen im Klinikum Nürnberg wieder auf dem üblichen Niveau. Mit dem Shutdown war in dem kommunalen Haus (wie berichtet) deren Zahl gesunken. Laut Prof. Frank Erbguth, Chefarzt der Neurologie, kamen zwischen Mitte März und Mitte April 30 Prozent weniger Patienten mit leichteren Beschwerden, die auf einen Schlaganfall hindeuten können, in die Notaufnahme. Die Zahl der schweren Akutfälle sei kaum gesunken. "Seit zwei Wochen arbeiten wir wieder auf dem gleichen Niveau wie vor der Krise."

Bei Akutpatienten mit Verdacht auf Herzinfarkt verdreifachte sich im Klinikum mit Beginn des Lockdowns die Zeit von Beginn der Schmerzen bis zur Behandlung in der Klinik von den üblichen 100 auf 300 Minuten. "Das ist viel zu lange", sagt Prof. Matthias Pauschinger, Chefarzt der Kardiologie. "Mittlerweile kommen die Patienten wieder und auch früher." Die Zahl der behandelten Infarkte sei zwischen Januar und April im Vergleich zum Vorjahr sogar leicht von 348 auf 412 gestiegen.

Während sich die Notfallbehandlung im Klinikum wieder normalisiert hat, gilt das für den ambulanten Bereich noch nicht. Dessen Strukturen waren komplett gestoppt worden, um das Infektionsrisiko möglichst klein zu halten. Aus Gründen der hygienischen Sicherheit werde er jetzt nur langsam hochgefahren, so Pauschinger.


Hier finden Sie täglich aktualisiert die Zahl der Corona-Infizierten in der Region. Die weltweiten Fallzahlen können Sie an dieser Stelle abrufen. Über aktuelle Entwicklungen in der Corona-Krise berichten wir auch im Liveticker.


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