Aus Ton etwas Einmaliges schaffen
6.5.2018, 20:23 UhrDas Kneten und Formen von Ton hat über Jahrtausende etwas Faszinierendes, ja sogar Göttliches bewahrt: Im Christentum formt Gott den Menschen aus einem "Erdenkloß", wie es in der Lutherbibel heißt, und bläst ihm anschließend eine Seele ein. Dieses Bild, aus einem unförmigen Klumpen Lehm etwas Perfektes, Unverwechselbares zu schaffen, ist Motor für viele Kunsthandwerker. Töpfermeisterin Margarete Tröger aus Neuhof an der Zenn spricht von einem "persönlichen Fingerabdruck", den sie mit ihren Produkten hinterlässt. Daher ist auch ihr Name als Qualitätszeichen auf den Gefäßen angebracht.
Ihr Kollege Clemens Schleifer aus Scheinfeld spricht davon, mit seinen Schöpfungen "eine Spur zu hinterlassen". Beim "Nürnberger Töpfermarkt" auf dem Hauptmarkt, den die beiden seit vielen Jahren mit weiteren Ton-Profis veranstalten, war diese Spur deutlich zu erkennen: Der 59-Jährige hat Tassen und Pflanztöpfe als halbe Gesichter entworfen. Man sieht die untere Hälfte des Kopfes — mal lächelnd, mal grimmig.
Ohne Produktionsplan
Warum verzichtet der gebürtige Franke auf die Augen und stellt die Gesichter nur ab der Nase abwärts dar? "Sonst würde sich der Blick sofort auf die Augen fokussieren und nur darauf ausrichten. Das würde zu sehr ablenken." Für den Keramikmeister ist die Selbstständigkeit bei der Arbeit mit Ton wichtig: Daher hat er sofort nach dem Ende seiner Ausbildung 1985 eine eigene Werkstatt gegründet. Er will das machen, was ihm am Herzen liegt und nicht, was in einem Produktionsplan vorgegeben ist. Freiheit ist für ihn mehr als ein Wort, es ist eine Lebenshaltung.
Freiheit ist auch für Keramikerin Margarete Tröger entscheidend. Gerade darin liege doch die Kreativität und die Energie, dass nicht jedes Produkt wie das andere aussieht, meint die 56-Jährige: "In unserer Zeit wird Individualismus ganz großgeschrieben, jeder will etwas Besonderes sein."
Und jeder Mensch ist schließlich auch einmalig: Die Selbstständige sieht in diesem Bewusstsein eine Überlebensstrategie für ihren Laden in Neuhof in der Nähe von Ansbach. Denn natürlich haben Menschen die Sehnsucht, sich auch mit etwas Einmaligem, Einzigartigem zu umgeben — und wenn es schon kein Original von Albrecht Dürer ist, dann reicht manchmal eine Tasse, die es kein zweites Mal in dieser Optik gibt.
Und in Trögers Küchenschrank: Stehen dort nur Unikate — oder ist auch Platz für Ikea-Tassen? "Nein, Massenware nehme ich nur bei Partys", lacht die Handwerksmeisterin, "bei mir gibt’s Lieblingstassen, die ich nur am Wochenende verwende — und andere handgefertigte für den Alltag."
Professionalität ist für die beiden Töpfer absolute Voraussetzung: Daher haben sie eine handwerkliche Berufsausbildung absolviert. Aus dem Brennofen soll nichts Hobbymäßiges oder Halbgares herauskommen. Sie haben wie ihre Berufskollegen auf dem Nürnberger Töpfermarkt den Anspruch, hochwertige Qualität abzuliefern. "Es gibt ja ganz furchtbar gruselige Sachen", meint die Fränkin, "die wollen wir bei unserer jährlichen Veranstaltung am Hauptmarkt nicht dabei haben."
Das kreative Schaffen mit Ton war nicht von Anfang an Trögers Berufswunsch. Nach dem Abitur hatte sie ein Kunstgeschichtsstudium begonnen, doch schon nach kurzer Zeit erkannt: "Uni ist uninteressant. Ich wollte etwas mit meinen Händen tun, was ich anschließend sehen kann." Ziel war Goldschmiedin, die Ästhetik des feingliedrigen Schmucks hatte es ihr angetan. Doch sie fand keine Lehrstelle, als Alternative hat sie Töpfern ausprobiert — und hat über diesen Umweg zurück zum Schmuck gefunden: Sie produziert auch Ringe und Broschen.
Clemens Schleifers Berufswahl lief ebenfalls nicht nach dem Motto "Nur das und nichts anderes". Sein Zeichenlehrer am Gymnasium hatte ihn gefördert und gemeint: "Das wäre doch ein Beruf für dich." Eigentlich sei es nur Zufall gewesen, keine Berufung.
Doch hätte er statt mit Ton auch mit Holz arbeiten können? Schleifer winkt ab: Mit Keramik habe man viel mehr Gestaltungsmöglichkeiten und Chancen, seinen ganz persönlichen Weg zu finden. In der Branche kennt man seinen Namen und seine Art zu arbeiten. Die Pflanztöpfe und Tassen als Gesicht, das ist sein Markenzeichen: mal düster, mal freundlich, wie das Leben eben ist. Den Lehm formen und gestalten, dem Tonklumpen eine Seele einhauchen — das sind schöne Gedanken, aber kann man davon auch leben? "Eine Familie lässt sich davon nicht ernähren", räumt Schleifer ein.
Und auch Margarete Tröger entgegnet: "Es gibt ja den Mindestlohn, den würde ich gern erreichen. Manchmal klappt es." Doch man muss neben der Produktion auch den Laden im Blick behalten: Es gehört dazu, dass die Geschäftsräume sauber und attraktiv bleiben. Eine Beratung von Kunden zwischen Tür und Angel geht nicht, man muss sich für sie entsprechend Zeit nehmen.
Begeisterung spüren
Für Tröger ist Töpfern immer noch "ein wunderschöner Beruf". Und sie glaubt, dass die Kunden ihre Begeisterung spüren. Doch wenn der Rücken schmerzt und sie spürt, wie anstrengend ihre Arbeit im Grunde ist, dann kriecht bei ihr die Angst hoch: "Was passiert, wenn ich dauerhaft krank werde?" Das Haus sei zwar abbezahlt, aber hinter ihrer Rente steht ein großes Fragezeichen. Doch so weit will die Selbstständige derzeit gar nicht denken: Vor wenigen Tagen kam erst einmal eine große Lieferung — eine ganze Tonne Ton. Die dürfte für die nächsten zwei bis drei Jahre reichen.
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