Bayerische Corona-Politik treibt Eltern und Ärzte auf die Barrikaden
14.7.2020, 05:51 Uhr"Kinder, die Symptome einer akuten übertragbaren Krankheit aufweisen, ist das Betreten der Einrichtungen ausdrücklich verboten", heißt es in den Handreichungen für Kitas und Schulen. Da reicht schon ein Schnupfen, Husten oder Halsschmerzen, um das Kind sofort zu isolieren und die Eltern anzurufen. Abholen, heißt es dann. Und erst wieder zurückbringen, wenn der Nachwuchs keine Anzeichen mehr zeigt.
Hannah S. ging mit ihrer Tochter sofort zum Kinderarzt. Die 39-Jährige ist gewissenhaft. Sie nimmt Corona weder auf die leichte Schulter, noch würde sie ein wirklich krankes Kind in die Schule oder Kita schicken. Wie vermutet, handelte es sich jedoch nur um eine Schnupfnase. Auch der Coronatest fiel negativ aus. Doch kaum war die fünfjährige Tochter wieder topfit zurück in der Kita, muss nun die neunjährige Schwester daheim bleiben. Sie hatte sich offenbar bei ihrer kleinen Schwester angesteckt.
Väter und Mütter arbeiten nachts
An Arbeiten ist da kaum zu denken, dabei sichert das - wenig überraschend - die Existenz der vierköpfigen Familie. Hannah S. sagt, sie sei inzwischen nervlich am Ende. Das berühmte Zahnfleisch, auf dem man gehe, sei längst weg. Ihr Mann ist als Wissenschaftler in befristeter Stellung tätig, sie selbst freischaffende Künstlerin. Oft arbeiten beide bis um halb zwei nachts, um das Pensum zu schaffen. Dazu kommen die Sorgen um die Töchter, die seit der Corona-Pandemie keine große Lust mehr am Homeschooling und an der Kita verspüren. Und nun soll es im Herbst so weitergehen, wenn berufstätige Mütter und Väter ständig erkältete Kinder betreuen sollen?
Neue Studie: Wiedereröffnete Schulen keine Corona-Hotspots
Egal, welche Eltern man derzeit spricht, viele sind nervlich am Ende - auch wenn es die wenigsten zugeben. "Die anderen schaffen es ja auch, da wollen wir nicht jammern", heißt es oft. "Und dann darfst du dir noch anhören, du wärst nicht gut organisiert und bekommst Tipps", sagt der Mann von Hannah S. "Wir können aber einfach nicht drei Jobs auf ein Mal machen und dann noch die Schule abdecken."
Susi K. aus Nürnberg geht es nicht anders. Seit der Pandemie weiß sie, wie es sich kurz vorm Zusammenbruch anfühlt. Sie erzieht ihren Sohn alleine. "Natürlich hat das alles bleibende Schäden hinterlassen", sagt sie. "Mein Sohn hat schwer gelitten." Sie selbst fühlt sich von der Politik "alleingelassen, gar nicht gesehen. Und die Notbetreuung für Alleinerziehende kam viel zu spät". Und jetzt? Soll sie beim nächstbesten Schnupfen ihres Sohnes wieder zuhause bleiben? Weil sie das ihrem Arbeitgeber nicht zumuten will, wird sie ihren Achtjährigen, wenn er krank ist, künftig notgedrungen bei den Großeltern lassen. "Obwohl ich die gerne schonen würde."
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So reiht sich Geschichte an Geschichte, ob von der Steuerberaterin, die aus ihrer Kanzlei rennen muss, weil ihr Kind im Kindergarten gehustet hat. Oder von Kindergarten-Leiterinnen, die den geballten Frust der Eltern abbekommen.
Die bayerischen Kinderärzte kennen das Dilemma, in ihren Praxen geht schon jetzt die Attest-Wut los. Ein banaler Schnupfen sei aber normal, sagt Wolfgang Landendörfer in Richtung Politik. Der Nürnberger Kinderarzt kämpft derzeit an vorderster Stelle um eine praktikable Lösung. Schließlich würden Kinder acht bis 15 Mal pro Winter krank, betont er. Viele seiner Kollegen ermuntern die Eltern inzwischen sogar zum Protest gegen die Politik. Was es dringend braucht, heißt es in einem Serien-Brandbrief, sind: Erstens ein praktikables Konzept bei Krankheitssymptomen von Kindern. Zweitens die Überprüfung der Richtlinie des Robert-Koch-Instituts. Drittens, dass Eltern von leicht erkrankten Kindern unbürokratisch zuhause bleiben dürften.
Weinendes Kind musste heim
Schon jetzt treibt die Anordnung seltsame Blüten. Fall Eins: Eine Nürnberger Familie, die nachweislich Corona hatte und vier Wochen in Quarantäne war, musste kürzlich ihr erkältetes Kind aus der Kita nehmen. Fall Zwei: Eine Schülerin lutscht einen Hustenbonbon im Unterricht und wird daraufhin nach Hause geschickt. Fall Drei: Ein eineinhalbjähriger Junge wird kerngesund das erste Mal wieder in die Krippe gebracht, fremdelt und weint. Als seine Nase läuft, muss seine berufstätige Mutter ihn abholen.
Weil den Ministerien und lokalen Behörden spürbar Ärger ins Haus steht, soll es nochmal ein Spitzengespräch geben. "Wir sind im engen Austausch mit dem Sozialministerium und den Kinderärzten, um hier eine bestmögliche Lösung für Eltern, Kindertagesstätten und Ärzte zu erreichen", lässt Gesundheitsministerin Melanie Huml vorab verlauten. Derweil wirbt das Familienministerium wiederholt um Verständnis und aus dem Kultusministerium heißt es unter anderem sehr pauschal: "Virenschleudern gehören eben nicht in die Schule, weder jetzt noch in normalen Zeiten."
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