Bis zum Schluss hielt er im Tafelwerk die Stellung
30.6.2013, 20:51 Uhr„Da drüben ist der Moritzberg, und da Mögeldorf.“ Martha Büttner steht auf dem Balkon, deutet mit ihrem Zeigefinger auf Häuserfronten, unter ihr dröhnen die Motoren der Äußeren Sulzbacher Straße. Der Blick von hier aus war unverbaut, anno 1954. Die schlanke Pegnitz mäanderte seinerzeit durch den Wiesengrund. Ende der 60er wurde sie gestaut, eroberte als Wöhrder See den grünen Streifen für sich. Die plumpen Häuserzeilen gegenüber unterbrechen heute die einstige Blickbeziehung zu dem Stadtteil, aus dem die zierliche 91-Jährige und ihr Mann Heinrich stammen: Mögeldorf.
Es war eine Chance. Der heute 84-jährige Heinrich Büttner arbeitete im industriellen Herz von St. Jobst, im Eisenwerk, das Julius Tafel anno 1876 gründete. Nach dem Ersten Weltkrieg übernahm die Gutehoffnungshütte, ein Montan- und Maschinenbauunternehmen mit Sitz in Oberhausen, das Nürnberger Eisenwerk. Nach dem Zweiten Weltkrieg ließ der Konzern entlang der Äußeren Sulzbacher Straße zu den bereits bestehenden weitere Werkwohnungen bauen. 1954 bekamen dann auch die Büttners den Zuschlag für eine 72-Quadratmeter-Wohnung an der Julius-Tafel-Straße, die sie erst mieteten und später, nach der Werk-Stilllegung von 1975, kauften.
"Später sogar Schichtführer"
Seinen Lohn verdiente Büttner als Arbeiter im Eisenwalzwerk. „Ich war im Versand, später sogar Schichtführer.“ Der Rentner zeigt auf rotstichigen Fotos aus den 70ern, wie groß das Gelände war. Heute sind noch zwei Bautrakte übrig, in einem sind die Bühnen der Tafelhalle und die Ausstellung des Museums Industriekultur untergebracht, im anderen die Museumsverwaltung.
In Spitzenjahren schufteten auf dem rund 60.000 Quadratmeter großen Areal bis zu 1000 Mitarbeiter. Der unbehandelte Stahl kam aus der Maxhütte in Sulzbach-Rosenberg und aus Oberhausen. Das Material wurde im Werk erhitzt und mit den Walzen bearbeitet. Am Ende kam es als Profileisen heraus: als U-, T-, Flach- oder Rundstahl. „Wir haben in drei Schichten gearbeitet. Da war’s mir aber zu heiß“, sagt Büttner und zeigt ein Foto, auf dem ein Kollege glühendes Metall absticht. „Ich hab’ lieber das abgekühlte Profileisen verladen.“
Denkmalschutz in den 80ern ein zahnloser Tiger
Bis Mitte der 70er Jahre lief das Werk, wurde dann aber 1975 stillgelegt. Elf Jahre später ging die Gutehoffnungshütte im heutigen MAN-Konzern auf. „Viele Kollegen hatten nach der Stilllegung die Chance, bei MAN unterzukommen“, erinnert sich Büttner. Er allerdings blieb bis zum Schluss auf dem Gelände, das in kleinere Grundstücke zerschnitten wurde. Nach und nach wurden Hallen und Kamine abgerissen und Wohnhäuser gebaut. Denkmalschutz? Der war in den 80ern ein zahnloser Tiger. „Wir musste für diese Halle hart kämpfen“, erinnert sich Matthias Murko, Leiter des Museums Industriekultur.
Das Areal, auf dem heute die Industriereste stehen, kaufte zunächst eine Berliner Immobilienfirma. Die ging aber pleite. Die Stadt nutzte die Gunst der Stunde, kaufte das Grundstück, das anschließend die Messe Nürnberg verwaltete. Sie übernahm auch Büttner und vier weitere Angestellte des alten Werks, die den Rest abwickelten. Büttner war der letzte, der hier die Stellung hielt. 1992 ging auch er in den Ruhestand.
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