Blick auf Fair-Trade-Siegel ist nur ein erster Schritt

27.9.2015, 19:53 Uhr
Blick auf Fair-Trade-Siegel ist nur ein erster Schritt

© Foto: Rödel

Löhne, die auch mit zwölf oder 14 Stunden Akkordarbeit kaum zum Überleben reichen, fehlender Arbeits- und Gesundheitsschutz, psychische und körperliche Gewalt durch die Aufseher – viele Produktionsstätten, vor allem in Asien, aber auch in Mittelamerika und Afrika, gleichen der „Vorhölle des Weltmarkt“, sagt Thomas Seibert von Medico International.

Nur wenn wieder mal eine Fabrik abbrennt oder einstürzt und Hunderte von Arbeiterinnen sterben, ist das Entsetzen groß. Doch schon nach kurzer Zeit gehen die Verantwortlichen und die Kundschaft zur Tagesordnung über.

Mehr mündige Verbraucher, die gezielt zu fair produzierten und gehandelten Waren greifen, werden die verheerenden Verhältnisse allein kaum aushebeln. Zwar haben die mächtigen Konzerne als Besteller und Abnehmer enormen Einfluss auf die Lieferketten. Aber nicht selten entsteht auch die teure Qualitätsware in denselben Fabriken wie die Billigjeans. Und Länder wie China verbitten sich Vorgaben von außen.

Die Spannbreite scheint dennoch groß zu sein: Der am Bodensee ansässige Ausrüster für Allwetter- und Sportbekleidung Vaude, ein klassischer Mittelständler, setzt beispielsweise auf langjährige Partnerschaften mit rund 40 Zulieferern, vor allem in Vietnam – und bietet Kunden ausführliche Informationen über die Herstellung und Herkunft.

„Aber allein mit Selbstverpflichtungen und freiwilligen Codices wird nicht genug Druck entstehen“, betonte Heiner Köhnen vom internationalen Gewerkschaftsnetzwerk TIE. Siegel dienten vor allem zur Beruhigung der Verbraucher.

Dagegen verwies zum Beispiel eine Mitarbeiterin eines städtischen Tochterbetriebs auf die vermutlich eher wachsende Bedeutung solcher Zertifikate: Wenn Institutionen bei Ausschreibungen gute und nachhaltige Produkte — etwa Dienstkleidung — beschaffen und Billigware ausschließen wollen, brauchen sie gute Argumente — eben zum Beispiel Siegel.

Der DGB-Regionsvorsitzende Stephan Doll schlug eine Brücke von den Billiglohnländern ins eigene Land: Bei Arbeitskämpfen und Tarifverhandlungen womöglich auch die „Kohlen“ für die geplagten Arbeiterinnen in Fernost aus dem Feuer zu holen, sei schier unmöglich, gab er zu bedenken — erst recht, wenn viel zu wenige Beschäftigte noch einer Gewerkschaft angehören. „Und beschämende Arbeitsbedingungen gibt es auch bei uns, gerade im Einzelhandel“, so Doll. Von Frauen, die oft auf Abruf und dann für 450 Euro angestellt sind, Kenntnisse über die exakte Herkunft der Ware zu erwarten, sei unrealistisch und vor allem unfair. In puncto Mindestlohn sei gerade Deutschland alles andere als ein Vorbild. „Wir müssen hier wie dort davon wegkommen, dass Arbeit billig ist wie Dreck.“

„Ohne Regeln geht’s nicht“

Markus Lötzsch, Hauptgeschäftsführer der IHK für Mittelfranken, warnte davor, „die“ Wirtschaft pauschal an den Pranger zu stellen, räumte aber ein, dass es ohne verbindliche Regeln und Kontrollen wohl keine Verbesserungen gebe. Mit dem Leitbild des „ehrbaren Kaufmanns“ versuche die IHK selbst, das Verantwortungsbewusstsein der Akteure zu schärfen. Allerdings werde dieses schmückende Etikett ohne jede Prüfung verliehen. „Es gibt nicht einmal eine Berichtspflicht“, kritisierte die Fürther Unternehmerin Elke Klement, die mit rk-Textil selbst in der Branche aktiv ist.

Entscheidend ist, so das Fazit von Michael Krennerich, Vorsitzender des Nürnberger Menschenrechtszentrums, die Betroffenen in den Ländern selbst in die Lage zu versetzen, ihre Rechte selbst einzufordern und durchzusetzen. Dazu gehört politischer Druck auf die Regierungen der Länder, allgemeine Menschenrechte wie die Versammlungs- und Meinungsfreiheit zu achten und zu schützen. Und dafür könne sich jeder auch hierzulande politisch engagieren.

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