"Blut muss fließen: Undercover unter Nazis" im Dokuzentrum
10.11.2012, 17:01 UhrThomas Kuban hatte Angst. Angst erkannt zu werden. Nahezu akribisch prüfte er bei seinen Konzertbesuchen die Ausrüstung, mit der er aufdecken wollte, dass Neonazi-Konzerte weit mehr sind als eine kulturelle musikalische Begleiterscheinung.
Kuban hat sich unter jene Leute gewagt, mit denen man sich besser nicht anlegen sollte. Seit 2003 bewegte er sich in der rechtsradikalen Szene, zunächst im Internet und später mit Glatze, Bomberjacke, Springerstiefeln und versteckter Kamera mitten unter ihnen. Wenn er heute TV-Interviews gibt, verschleiert er seine wahre Identität unter einer blonden Perücke und einer dicken Sonnenbrille, denn es gab in der Vergangenheit bereits vielfach Morddrohungen gegen seine Person. Dabei fand das Projekt zunächst keine Unterstützung von Fernsehsendern oder Sponsoren. Doch das Team um Regisseur Peter Ohlendorf glaubte an den Film und produzierte diesen mit eigenen Mitteln.
Der Film beginnt mit einer Pressekonferenz im Bayerischen Innenministerium 2007. Der damalige Ministerpräsident präsentiert den Verfassungsschutzbericht . Daraus geht hervor, dass das vom Linksextremismus ausgehende Gewaltpotential größer ist als das vom Rechtsextremismus. Kuban muss auch feststellen, dass es sehr schwierig ist mit Politikern, z.B. dem damaligen Innenminister Wolfgang Schäuble, über das Thema Rechtsextremismus zu sprechen. Er bekommt schlichtweg keinen Interviewtermin.
Das Thema Rechtsrock werde massiv unterbelichtet, sagt Kuban. Mit seinen Recherchen kann er erstmals einen Einblick in die Neonazi-Szene geben. Warum gerade die Musik eine absolut zentrale Rolle in der Radikalisierung der Jugend spielt, liegt für Ohlendorf auf der Hand: Die Musik sei wie ein Schlüssel zu den Jugendlichen und diese würden den Köder schlucken. Im Vordergrund der aggressiven Texte steht neben juden-, ausländer- und schwulenfeindlichen Aussagen auch der Kult um Peronen wie Rudolf Hess und Adolf Hitler.
Kein Nazi-Konzert ohne Straftaten
Auf vielen Konzerten werden "Klassiker" von Neonazi-Bands wie Kraft durch Freude, Freikorps, Störkraft, Radikal, Tonstörung, Werwolf oder Frank Rennicke gespielt. Letzterer gilt als Schlüsselfigur in der rechtsextremen Szene. Aber auch internationale rechte Musikgruppen wie beispielsweise die britischen Skrewdriver, deren Sänger Ian Stuart Donaldson als einer der Begründer des weltweit größten rechtsextremen Netzwerks "Blood and Honour" gilt, erfreuen sich größter Beliebtheit. Kuban kritisiert den Umstand, dass die Problematik den meisten Kontrollorganen durchaus bewusst sei, jedoch kaum etwas unternommen würde, obwohl, so wie er sagt, kein Nazi-Konzert ohne Straftaten ablaufe.
Sogenannte Szeneläden gibt es in ganz Deutschland und auch der Versandhandel mit rechtsextremer "Hardware" boomt. Zu kaufen gibt es neben CDs, Bekleidungsmarken und Ansteckern auch Waffen. Viel wichtiger ist jedoch ihre Funktion als Anlaufpunkt zur Anbindung an die Szene. Auch in Nürnberg entfachte die Eröffnung des Geschäfts mit dem Namen Thor-Steinar eine Welle des Protestes. Nach zahlreichen Kundgebungen und Mahnwachen wurde der Betrieb 2011 eingestellt.
Der Film zeigt, dass es die Neonazi-Szene vor allem in Ostdeutschland leicht hat, sich zu etablieren. Rechtsrock hat dort fast schon Mainstream-Status erreicht, da es für alternative Jugendarbeit oftmals an Geldern und staatlicher Förderung fehlt. Dabei ist dieses keineswegs ein rein deutsches Problem: Mittlerweile erstreckt sich das rechtsradikale Netzwerk über Österreich, die Schweiz, Italien und sogar bis nach Ungarn. Es werden Festivals veranstaltet und Aufmärsche, beispielsweise in Budapest, organisiert. "Die Nazis werden immer dreister und sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen", so Ohlendorf.
Auffällig ist, dass es in Berlin nicht zuletzt auf Grund des hohen Verfolgungsdrucks der Polizei kaum mehr zu Veranstaltungen mit rechtsradikalem Hintergrund kommt. Hier zeigt die Dokumentation eine positive Synergie aus Polizeiarbeit und Aufklärung. Auch eine Ortschaft in Hessen kämpft erfolgreich mit einem Bündnis gegen Rechts gegen Neonazis in ihrem Landkreis.
Die Zuschauer starren gebannt auf zum Hitlergruß erhobene Arme, werden dabei mit abscheulichen und menschenverachtenden Textzeilen und Parolen konfrontiert und können kaum fassen, dass das Gezeigte wirklich die Realität fern eines fiktiven Filmes abbildet.
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