Söder sorgt für Aus

Christkindlesmarkt abgesagt: Budenbeschicker sind entsetzt und wütend

19.11.2021, 18:53 Uhr
Gisela Schaar hatte ihren Stand fast fertig dekoriert. Nun muss sie ihn wieder abbauen.

© Roland Fengler, NNZ Gisela Schaar hatte ihren Stand fast fertig dekoriert. Nun muss sie ihn wieder abbauen.

Als Gottlob Braun um eins in seinem Auto die Nachrichten hörte, wäre er am liebsten rechts rangefahren, um zu heulen. Braun verkauft Süßwaren, Lebkuchen, schokolierte Früchte und gebrannte Mandeln auf dem Christkindlesmarkt, seit Jahrzehnten. Er war auf dem Weg nach Nürnberg, um seine Bude weiter aufzubauen. Nun fuhr Braun nach Nürnberg, um sie abzubauen.

Seit Wochen schrauben sich die Corona-Fallzahlen in nie gekannte Höhen, doch der weltberühmte Christkindlesmarkt sollte stattfinden. Mit einem Konzept, das funktioniert hätte, ist sich Wirtschaftsreferent Michael Fraas sicher: mit mehr Abstand und Buden, verteilt über die ganze Innenstadt. Um die Glühweinstände herum wären nur geimpfte und genesene Gäste willkommen gewesen. Seit Frühling feilte die Stadt am Konzept. Doch dann, an diesem Freitag im November, verbot Ministerpräsident Markus Söder alle Weihnachtsmärkte in Bayern und nahm damit seinem CSU-Parteikollegen Fraas das Heft des Handelns aus der Hand. „Für Nürnberg ist es hart. Ich bin traurig“, sagt dieser.


Es glitzerte schon

Noch der Himmel aus glänzendem Stoff, dann wäre Gisela Schaar fertig gewesen mit der Dekoration ihrer Bude. Erst ganz zum Schluss kommen die Räuchermännchen hinein, weil die immer so leicht umkippen, aber der Rest glitzert schon: Sterne, Kugeln, Engel. Schaar misstraute der Corona-Situation, sie verschob den Aufbau immer wieder nach hinten, am Dienstag aber fing sie doch an.

„Ich dachte: Wenn sie den Christkindlesmarkt bis jetzt noch nicht abgesagt haben, wird er schon stattfinden.“ Sie habe Glück gehabt, sagt sie. Ihre Ware ist zeitlos und schmückt den Weihnachtsbaum im nächsten Jahr noch genauso schön, „nur die Schneekugeln muss ich wegwerfen, die werden trüb und verlieren Wasser“. Aber einer der Nachbarn zum Beispiel, ein Österreicher, der wollte selbst gestaltete Kalender verkaufen. Ein anderer bleibt nun auf einem Berg Kräuterbonbons sitzen.

„Es ist ein entsetzlicher Tag für uns“, sagt Lorenz Kalb, der Vorsitzende des Süddeutschen Schaustellerverbandes, „es geht uns grauenvoll schlecht, wir bangen jetzt um viele Existenzen“. Er sei stolz auf die Stadtspitze, die bis zuletzt alles versucht habe, damit der Markt machbar sei. „Eine völlig unnötige Katastrophe“ sei diese Situation, schimpft Kalb, „es gibt überhaupt keinen Grund, einen Markt, der an der frischen Luft stattfindet, abzusagen“.

Mit Sorge blickt Yvonne Coulin, Geschäftsführerin der Congress- und Tourismuszentrale, in die Zukunft. Sie rechnet jetzt mit noch mehr Stornierungen im wichtigen Weihnachtsgeschäft. „In den Hotels im Innenstadtbereich hatten wir eine Auslastung an den Wochenenden von etwa 60 Prozent erwartet“, sagt Coulin. Hauptsächlich Individualtouristen, die Nachfrage nach Gruppen- oder Busreisen sei schon vor der Absage „verschwindend gering“ gewesen. „Nürnberg hat versucht, zu entzerren, aber wenn die Lage eine andere Handhabe erfordert, dann müssen wir damit umgehen.“

Dennoch herrschen dampfende Wut und Entsetzen dort, wo man noch die Kraft hat, sich aufzuregen. Woanders wechseln sich hilflose Resignation, tiefe Enttäuschung und Existenzangst ab. Nicht nur in Nürnberg, dessen Weihnachtsmarkt den größten Umsatz macht.

Auch in der Region waren in den vergangenen Wochen zuerst die Veranstalter der kleineren Märkte, meist Ehrenamtliche und Vereine, abgesprungen. Mangels Kapazitäten waren die vielfältigen Auflagen und Bestimmungen für sie nicht mehr zu stemmen. Zuletzt hagelte es in allen Landkreisen Tag für Tag Absagen. Nur größere Städte wie Fürth, Erlangen oder auch Treuchtlingen hofften bis zuletzt noch auf die Öffnung ihrer Weihnachtsbuden – bis am Freitagmittag die Absage aus München kam.

Die Händler erfuhren die schlechte Nachricht aus den Medien. Noch am frühen Freitag war Christine Beeck auf dem Hauptmarkt gewesen, die Nürnberger Marktsamtschefin. Sie schaute nach dem Rechten, erklärte wieder das Hygienekonzept. Die Absage muss auch sie wie ein Faustschlag getroffen haben.


Hilfen von Bund und Land

Oberbürgermeister Marcus König hat mit den enttäuschten Händlern gesprochen. „Die sind fix und alle, der Frust ist sehr groß.“ Er könne dies sehr gut nachvollziehen, habe aber Verständnis für die Entscheidung des Freistaats. „Es geht um den Schutz und die Sicherheit der Bürger. Wir haben jetzt eine klare Regelung für Bayern.“ Es wäre nicht logisch gewesen, eine Freiluft-Veranstaltung wie den Christkindlesmarkt abzusagen, wenn man zugleich in Bars und Diskotheken hätte feiern dürfen. „Ich mache mir Sorgen um die Besitzer der vielen kleinen Geschäfte.“ Sie bräuchten nun schnelle, unbürokratische Hilfen von Bund und Land.

Die Aktivisten vom Klimacamp gehen nach der Absage nun davon aus, auf dem prominenten Sebalder Platz bleiben zu können. Dabei hatten sie sich gerade erst mit der CSU darauf verständigt, während des Christkindlesmarkts ihre Zelte abzubrechen und auf dem Fünferplatz vor dem Rathaus aufzuschlagen. Der Umzug war für den 24. November geplant – zwei Tage vor der Eröffnung des Christkindlesmarkts.

„Die Politik hat total versagt“, sagt Gottlob Braun. „Seit zwei Monaten haben wir das gewusst, dass das so kommt, da hätte man reagieren müssen!“ Er habe gerade, erzählt Braun, eine Bekannte angerufen, die einen landwirtschaftlichen Betrieb hat. „Wollen deine Schweine auch Lebkuchen?“, fragte er sie.

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