Darum wäre Strom ohne Erneuerbare Energien noch teurer

Erik Stecher

Politikredaktion NZ

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3.6.2020, 15:11 Uhr

Wissenschaftler um Studienleiter Professor Jürgen Karl haben anhand von Daten der Europäischen Strombörse berechnet, wie sich die Preise ohne das wachsende Angebot von Ökostrom entwickelt hätten: Im Studienzeitraum 2011 bis 2018 hätte der Strom in Deutschland insgesamt 70 Milliarden Euro mehr gekostet. Von dieser Ersparnis profitieren aber nicht alle.

Wie wirken sich Erneuerbare Energien auf den Strompreis aus?

In der öffentlichen Wahrnehmung sind die Strompreise seit dem Reaktorunglück im japanischen Fukushima 2011 gestiegen, weil da der deutsche Atomausstieg begann und mehr Ökostrom produziert wurde. "Tatsächlich gab es den größten Preisanstieg aber in den Jahren 2000 bis 2013", sagt Professor Jürgen Karl. Er begann also lange vor Fukushima und endete kurz danach.

Das Ansteigen der Strompreise hat verschiedene Ursachen, beispielsweise einen Preisanstieg bei den CO 2 -Zertifikaten 2006 oder gestiegene Gasund Rohölpreise 2008. Zu den Börsenpreisen kommen weitere Faktoren hinzu wie etwa die EEG-Umlage und die steigenden Netzentgelte, die auf den Strompreis aufgeschlagen werden. "Der Strompreis wäre höher ohne Erneuerbare Energien", erklärt Karl: "Weil das Angebot an Strom gestiegen ist, ist der Strompreis an der Börse massiv gefallen." Erst in den vergangenen Jahren ist der Börsenpreis wieder leicht gestiegen.

"Das liegt an der Verknappung des Stromangebots durch abgeschaltete Kohle- und Kernkraftwerke und das gleichzeitige Ausbremsen der Erneuerbaren Energien." Eine Sondersituation gibt es aktuell: Es gibt Rekordeinspeisungen aus Wind- und Solarenergie sowie infolge der Coronakrise eine gesunkene Stromnachfrage und niedrige Großhandelspreise.

Warum sieht die private Stromrechnung ganz anders aus?

Einerseits haben die Wissenschaftler errechnet, dass in Deutschland rund 70 Milliarden Euro weniger für Strom gezahlt werden mussten, weil Ökostrom das Gesamtangebot erhöht hat. Andererseits macht sich keine Ersparnis bemerkbar, wenn man in Privathaushalten auf die Stromrechnung blickt: Da steigen die Preise meist.

"Bei der Präsentation unserer Studien gibt es oft Missverständnisse", erklärt Mitverfasser Sebastian Kolb:"Die Ersparnis durch Erneuerbare Energien ist auf alle Verbraucher in Deutschland gerechnet.


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Nicht nur auf die Privatverbraucher, sondern auch auf energieintensive Unternehmen." Diese sind aber teilweise von der EEG-Umlage befreit. Was deren Stromrechnung senkt und die der Privathaushalte steigen lässt. "Davon profitiert nicht nur die Schwerindustrie: Es sind insgesamt rund 2000 bis 2200 Unternehmen, die ganz oder teilweise von der EEG-Umlage befreit sind." Knapp 25 Prozent des Stromverbrauchs in Deutschland seien quasi privilegiert, so Karl.

Was würden verlängerte Laufzeiten von Atomkraftwerken bringen?

Seit der Kohleausstieg bis 2038 beschlossen wurde, wird wieder öfter gefordert, die Atomkraftwerke länger als bis 2022 laufen zu lassen. "Wenn man abgeschriebene alte Kernkraftwerke länger betreiben würde, gäbe es öfter ein Überangebot, also auch niedrigere Strompreise an der Börse", sagt Karl.

"Das große Problem ist aber, dass die existierenden Anlagen am Ende ihrer Lebensdauer sind." Früher galten 30 Jahre als sichere Betriebsdauer einer Anlage, heute bis zu 40 Jahre – was Karl kritisch sieht. "Die Materialien altern durch die Bestrahlung, dadurch ist ihre Lebensdauer begrenzt. Es ist fahrlässig, jetzt eine Laufzeitverlängerung zu fordern."

Die Anlagen, die älter als 36 Jahre sind, wurden schon abgeschaltet. Die verbliebenen sechs Reaktoren sind seit 31 bis 36 Jahren in Betrieb.EineVerlängerung nach 2022 ginge Karl zufolge auf Kosten der Sicherheit. "Man geht heute davon aus, dass in Fukushima, wo der älteste Block 40 Jahre alt war, der Tsunami nicht das alleinige Problem war. Sondern dass ein Bruch aufgetreten ist, weil der Reaktor altersbedingt schon das vorangehende Erdbeben nicht vertragen hat."

Der Neubau von Kernkraftwerken wäre Kolb zufolge keine Alternative: "Es ist mittlerweile sehr teuer und dauert auch sehr lange, bis ein neues Kernkraftwerk einsatzbereit wäre." "Die Kernenergie ist nicht mehr konkurrenzfähig", stellt Karl fest. "Die Installationskosten sind gar nicht mehr vergleichbar. Photovoltaik und Windenergie sind so billig geworden. Man kann in Ländern wie Brasilien eine Kilowattstunde Strom für rund 2 Cent produzieren und selbst in Deutschland für 3 bis 4 Cent." Offshore- Windenergie ist allerdings viel teurer als Windräder an Land. Und da stagniert der Ausbau, während die Nachfrage steigt.

Werden die Strompreise steigen, weil die Energiewende stockt?

Danach sieht es derzeit aus. "Die alten Kernkraft- und Kohlekraftwerke gehen vom Netz, irgendwo muss aber der Strom herkommen", sagt Karl. "Die einfachste und billigste Lösung wäre eine Kombination aus Photovoltaik und Windenergie." Sie ergänzen sich gut, weil Photovoltaik im Sommer und die Windkraft im Winter den meisten Strom liefert. "Aber wenn die Windkraft an Land nicht ausgebaut wird, wird es teurer."

Der Bau von Anlagen im Meer ist aufwändig und eine Langzeit-Speicherung von Solarstrom erfordert teure Speicher. "Es spricht aber auch nichts dagegen, Erneuerbare Energien zu importieren. Es ist in Zukunft sicher wirtschaftlicher, sie dort zu produzieren und zu speichern, wo es viel Wind und Sonne gibt", sagt Karl. Viele Länder Europas stehen aber nicht besser da als Deutschland und kommen nicht immer als Stromexporteure in Frage.

Ist die Versorgungssicherheit gefährdet?

"Ich habe mir für meinen Keller eine notstromfähige Batterie gekauft", sagt Karl. "Man muss es ernst nehmen. Derzeit kommen noch zwölf Prozent des Stroms aus der Kernkraft, aber die verbleibenden Anlagen gehen alle bis Ende 2022 vom Netz. Wenn wir nicht massiv bei den Erneuerbaren Energien zubauen, und auch bei den Speichern, wird es schon spannend." Im Jahr 2019 hat Ökostrom 46 Prozent der deutschen Nettostromerzeugung geliefert.

Und: "Mit mehr Erneuerbaren Energien im Stromnetz sind auch mehr Speicher nötig." Vorerst ist die Versorgungssicherheit gesichert, denn Schwankungen bei Sonne und Wind können durch Gaskraftwerke gut abgedämpft werden. Hierfür gibt es Karl zufolge aber auf längere Sicht noch zu wenige Gaskraftwerke. Außerdem belastet auch fossiles Erdgas das Klima enorm.

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