"Das Bewusstsein um den Wert von Journalismus steigt"

Michael Husarek

Chefredaktion

E-Mail

30.1.2018, 05:57 Uhr
Prof. Dr. Klaus Meier lehrt an der Katholischen Universität in Eichstätt Journalistik. Vor seiner wissenschaftlichen Laufbahn hat er ein Volontariat absolviert. Kürzlich wurde der 49-Jährige mit dem "Ars legendi-Preis 2017 für exzellente Hochschullehre" ausgezeichnet. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählt unter anderem die Redaktionsorganisation.

© Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt Prof. Dr. Klaus Meier lehrt an der Katholischen Universität in Eichstätt Journalistik. Vor seiner wissenschaftlichen Laufbahn hat er ein Volontariat absolviert. Kürzlich wurde der 49-Jährige mit dem "Ars legendi-Preis 2017 für exzellente Hochschullehre" ausgezeichnet. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählt unter anderem die Redaktionsorganisation.

Herr Prof. Meier, warum setzen immer mehr Medienhäuser auf einen Desk?

Redaktionen waren traditionell kleinteilig organisiert. In der klassischen Zeitungswelt haben die Ressorts Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport und Lokales relativ unabhängig voneinander gearbeitet. Heute stehen die Verlage vor zwei Herausforderungen. Zum einen muss man ressortübergreifender werden, Themen müssen ganzheitlicher angegangen werden, weil eben vieles miteinander zu tun hat und nur in Teams recherchiert und bearbeitet werden kann.

Zum anderen muss heute crossmedial gearbeitet werden, weil es immer mehr Ausspielkanäle und immer mehr digitale Plattformen gibt, auf denen Redaktionen präsent sein müssen. Und man kann eben nicht für jeden Kanal eine neue Redaktion gründen.

 

Warum denn nicht?

Das ist weder finanzierbar noch passt es zu einer gemeinsamen journalistischen Arbeit unter einem Dach. Es ist sinnvoll, Print und Online zusammen zu leben: Wer gemeinsam Themen bearbeitet, kann Aufgaben bündeln und koordinieren und für die Leser tiefer eindringen.

Macht ein Newsdesk eine Redaktion somit zukunftsfähig?

Im Prinzip schon, aber das ist nicht so einfach. Zukunftsfähigkeit macht sich vor allem an der Überlegung fest: Wozu brauche ich überhaupt noch eine Tageszeitung – auf verschiedenen Kanälen in Print und digital? Dazu muss ein Alleinstellungsmerkmal ausgebaut werden, das die gedruckte Zeitung schon immer hatte: Einmal am Tag den wahnsinnig schnellen Nachrichtenstrom anzuhalten, einzuordnen, selbst zu recherchieren, Fakten zu checken und hintergründig zu berichten.

Und gleichzeitig wollen sich immer mehr Menschen mit Smartphone, Tablet oder Computer zwischendurch und rund um die Uhr informieren, was gerade um sie herum und in der weiten Welt passiert.

Beide Bedürfnisse können von der Zeitungsredaktion mit Desk-Struktur bedient werden. Dann bieten gedruckte und digitale Zeitung einen Mehrwert für die Leser, den sie sonst nirgendwo bekommen.

Ein Newsdesk wird gerne als "immerwährende Konferenz" bezeichnet. Ist das eine treffende Beschreibung?

Ja, aber man darf das nicht übertreiben. Es kommt darauf an, worüber man redet. Es sollte vor allem um Themen gehen und um die Frage, wie gehe ich diese Themen an. Und auf welchen Plattformen spiele ich diese Themen aus, damit sie die Nutzer und Leser erreichen. Eigentlich ist so ein Desk eine Drehscheibe für Themen und Plattformen.

An dieser Drehscheibe sitzt ein neuer Typus von Redakteuren – der Editor. Reporter, also die klassischen Berichterstatter, sind dort fehl am Platze.

Das stimmt. Der Reporter hat an einem Desk eigentlich nichts verloren. Wir sind das in Deutschland nicht gewohnt, in den USA gibt es diese Trennung seit 100 Jahren. Die Editoren sind darauf spezialisiert, die Zeitung zu komponieren, die Reporter liefern die dafür notwendigen Töne.

Große Newsdesks sind mittlerweile normal: Die Nachrichtenagentur dpa hat schon vor Jahren umgebaut.

Große Newsdesks sind mittlerweile normal: Die Nachrichtenagentur dpa hat schon vor Jahren umgebaut.

Und am Ende soll etwas Stimmiges herauskommen. Wie weit sind denn Desks in deutschen Redaktionen verbreitet?

Mittlerweile dürfte es sicher in 80 bis 90 Prozent aller Medienhäuser, egal ob TV, Radio oder Tageszeitungen einen Newsroom oder einen Newsdesk geben.

Was ist denn ein Newsroom im Vergleich zu einem Desk, gibt es da Unterschiede?

Ja. Der Begriff Newsroom meint, dass man Wände einreißt und in ein Großraumbüro einzieht – mit dem Ziel, sich besser zu koordinieren. Ein Desk kann dann im Zentrum eines solches Newsrooms stehen, dort sitzen die Editoren.

Also arbeiten wir neuerdings auch an einem Desk, an dem Editoren der Nürnberger Nachrichten, der Nürnberger Zeitung und unserer Online-Redaktion arbeiten. Werden dadurch mehr Kolleginnen und Kollegen als Reporter unterwegs sein können?

Das sollte so sein. Und wenn Journalisten der beiden bislang getrennt arbeitenden Zeitungen es schaffen, mit verschiedenen Perspektiven an ein Thema heranzugehen, kommt ein Mehrwert für den Leser heraus: mehr Vielfalt in der Zeitung und nicht nur eine Vielfalt von zwei Zeitungen. Das klappt aber sicherlich nicht automatisch, sondern muss das tägliche Ziel sein.

Woran machen Sie diesen Mehrwert fest?

Der Mehrwert manifestiert sich in mehr Ressourcen für Recherche, in besserer Planung und Ausspielung von Information auf verschiedenen Kanälen. Man spricht von der 360-Grad-Perspektive: Der Leser möchte über sein Smartphone, auf dem er die App der Zeitung heruntergeladen hat, die schnellen Nachrichten bekommen.

Am nächsten Tag mag er sich zurücklehnen, liest in der Zeitung den Überblick und den Hintergrund dazu und geht danach vielleicht noch auf die Website, um mittels Videos oder Animationen noch tiefer in eine Thematik einzutauchen. Diesen Rundumblick kann man nur mit größeren organisatorischen Einheiten ermöglichen, weil man in der alten Redaktionsorganisation zwangsläufig nebeneinander her arbeitet.

An unserem neuen Desk gibt es zudem eine Reihe von Spezialisten, etwa eine Audience-Development-Redakteurin und Social-Media-Experten. Sind das neue Berufsbilder?

Unbedingt. Den Social-Media-Editor gibt es bereits seit rund fünf Jahren, seit Facebook, Twitter, Instagram und andere Kanäle vor allem bei jungem Publikum weit verbreitet sind. Audience Development ist ein vergleichsweise junger Trend. Damit ist ein ganzheitlicher Blick auf die Wünsche und Interessen des Publikums gemeint: Welche Geschichten möchte das Publikum in welchem Format lesen?

Aber auch: Wie kann man das Publikum für die wichtigsten Themen des Tages gewinnen? In vielen Online-Redaktionen galt früher und gilt zum Teil heute noch nur der Blick auf Klickzahlen – dann verdrängen Sensationen, Skandale, "Sex & Crime"-Themen alles andere.

Aber es geht um mehr, zum Beispiel um Verweildauer oder auch um ein kleines, aber treues Publikum für Nischenthemen. Man kann Bewegungen auf der Website sehr genau analysieren. Letztlich geht es um Möglichkeiten, wichtige Themen noch besser zu präsentieren, damit sie nicht untergehen.

Aber ist Audience Development nicht auch gefährlich, weil dadurch die Rolle des Journalisten, die Inhalte auszuwählen und zu kuratieren, bedroht wird?

Nein, auf Leserinteressen und Vorlieben zu blicken, heißt ja nicht zwangsläufig, dass keine Auswahl mehr getroffen werden muss. Die Gatekeeper-Funktion, also das Auswählen und Sortieren, ist wichtiger denn je. Wir gehen in der Informationsflut unter, wenn wir nicht die Profis des Sortierens und Gewichtens haben. Ohne Journalisten fragmentiert die Gesellschaft, sie zerfällt in Filterblasen.

Das ist ein starkes Plädoyer für den Fortbestand der Tageszeitung . .

Ja, ich sehe absolut eine Perspektive für die Zukunft des Produktes Tageszeitung – wenn man es nicht auf das Gedruckte reduziert. Wir müssen an der Bereitschaft der Menschen arbeiten, für Inhalte im Netz zu bezahlen. Studien belegen, dass das Bewusstsein um den Wert des Journalismus gerade in "Fake News"-Zeiten gestiegen ist. Wer, ohne groß nachzudenken, bereit ist, zwei bis drei Euro für einen Kaffee zu bezahlen, sollte das täglich auch für die bestmögliche Information investieren.

10 Kommentare