Das Schauspielhaus - vom Provisorium zur Institution
15.8.2018, 11:16 UhrAls 1901 der Bau des Neuen Stadttheaters, des heutigen Opernhauses, begann, war dem Nürnberger Magistrat bereits klar, dass es so schnell nichts werden würde mit dem Festsaal, den man als Gegenstück zu der Spielstätte an der Sandstraße geplant hatte.
Und so verpachtete die Stadt die Freifläche bis auf Weiteres an die Velozipedfabrik Hercules, seinerzeit einer der führenden Hersteller von Fahrrädern im Deutschen Reich. Im Auftrag des Firmengründers Carl Marschütz schuf Kunstschulprofessor Georg Will ein beeindruckendes Provisorium, dessen Konstruktion vollkommen aus Holzfachwerk bestand: das Hercules-Velodrom.
Von außen wirkte der großzügige Bau mit seiner Haupthalle, den niedrigeren Anbauten mit Pultdächern und Strebebögen und dem polygonalen Abschluss an der Lessingstraße wie eine Kathedrale.
In gewisser Weise war er das auch, denn mit ihm – wie der Betreiber Gabriel Kropf anno 1930 mit fast schon religiösem Unterton verkündete – war "dem Publikum eine Stätte geboten, um unbeengt und nach aller Bequemlichkeit in den geschäftsfreien Stunden dem Sport zu huldigen."
Mit anderen Worten: Wer mochte, konnte hier in seiner freien Zeit nach Herzenslust und bei jeder Witterung mit seinem Drahtesel durch die weite, von einem Tonnengewölbe überfangene Halle fahren, um sich nachher im Separee mit einem kühlen Bierchen zu stärken. Das war noch Radsport mit Gemütlichkeitsfaktor! Wenn nicht geradelt wurde, war das Velodrom Gastwirtschaft und Festsaal mit Bühne. Im Ersten Weltkrieg diente es als "Kriegsvolksküche", wo Freiwillige die hungernde Bevölkerung mit warmen Mahlzeiten versorgten.
Dank der Holzbauweise hätte man das Velodrom bei Bedarf in seine Einzelteile zerlegen und andernorts wieder aufbauen können – ähnlich wie manche Nürnberger Notkirche, die mitunter mehrfach ihren Standort wechselte. Allein, das blieb graue Theorie, denn die "Kathedrale des Radsports" brannte 1944 ab. An ihrer Stelle wurde ein Bassin ausgehoben, um nach Bombenangriffen Wasser für die Löscharbeiten bereitzustellen.
Für die Stadt Nürnberg erwies sich die Zerstörung im Nachhinein als glückliche Fügung: So konnte man dort 1951 das Amerikanische Theater errichten, das den Besatzungstruppen als Kino, Kasino, Konzertsaal und Varieté diente. Im Gegenzug erhielten die Nürnberger ihr 1945 beschlagnahmtes Opernhaus zurück.
Auch das Theater war wieder ein Provisorium: Die Architekten Theo Kief und Kurt Schneckendorf hatten das Gebäude so geplant, dass es sich bei Bedarf zum städtischen Schauspielhaus umbauen und erweitern ließ. Die bisherige Spielstätte, das alte Stadttheater am Lorenzer Platz, war im Bombenkrieg vernichtet worden. Die Gelegenheit für den großen Coup kam früher als gedacht: Schon 1959 zogen die GIs wieder aus, das frühere Kino erhielt Bühne, Seitenbühne und diverse Nebenräume.
Im selben Maße wie es mit dem Schauspiel künstlerisch bergauf ging, ging’s mit dem vorgelagerten Richard-Wagner-Platz städtebaulich bergab: Durch den Bau der Theater-Tiefgarage, deren kavernenartige Einfahrten an der Sandstraße die Autos wie zwei riesige Mäuler einzusaugen und auszuspucken scheinen, lag das gediegene Entree der Musenstätte ab 1976 quasi auf Kellerniveau.
Erst die umfangreiche Sanierung des Schauspielhauses, die 2010 abgeschlossen war, beendete diesen Zustand: Da nämlich erhielt das Gebäude nach Planung des Büros PFP Architekten ein Foyer mit gewaltiger Glasfassade, die ihm wieder eine würdige Platzfront verlieh. Auf der Kehrseite der Medaille fielen weite Teile des Werkes von Kief und Schneckendorf dem Umbau zum Opfer. Erhalten blieb der würfelförmige Bühnenhausturm.
Von seiner Verkleidung aus rotem Klinker setzen sich in ockerfarbenen Ziegeln die stilisierten Formen des Meeres, der Wolken, der Sonne und des Mondes ab. Wie ein Leuchtturm steht er noch heute inmitten des verkehrsumtosten Stadtteils Tafelhof und erinnert daran, wie aus einem Provisorium eine feste Institution Nürnberger Kultur wurde.
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