Debatte im Rathaus: Wer hat das bessere Gedenk-Konzept für NSU-Opfer?

1.11.2020, 05:50 Uhr
Oberbürgermeister Marcus König (links) versprach Abdul-Kerim Simsek, dem Sohn des ersten NSU-Mordopfers, bei der Gedenkfeier im September, den Platz an der Liegnitzer Straße nach seinem Vater zu benennen.

© Stefan Hippel, NN Oberbürgermeister Marcus König (links) versprach Abdul-Kerim Simsek, dem Sohn des ersten NSU-Mordopfers, bei der Gedenkfeier im September, den Platz an der Liegnitzer Straße nach seinem Vater zu benennen.

Die CSU war am schnellsten. Im September, bald nachdem die Stadt zu einer Feierstunde anlässlich des 20. Jahrestags der Ermordung des Blumenhändlers Enver Simsek nach Langwasser geladen hatte, formulierte Fraktionschef Andreas Krieglstein ein Schreiben an Oberbürgermeister Marcus König (CSU).

Die Verwaltung solle ein Gesamtkonzept für das Gedenken an die drei ausländischen Mitbürger erarbeiten, die der "Nationalsozialistische Untergrund" hier ermordet hatte. Und: Als Zeichen der Mahnung solle der kleine Platz an der Liegnitzer Straße zwischen Langwasser und Altenfurt, auf dem Simsek seinen Blumenstand unterhalten hatte und an dem er kaltblütig erschossen wurde, in Enver-Simsek-Platz getauft werden.

Blick auf den Terror ab 1933

Das Anliegen kam nicht ganz überraschend. Denn seit geraumer Zeit fordern Organisationen wie die Allianz gegen Rechtsextremismus immer lauter eine schlüssige Kultur des Erinnerns. Sie solle nicht nur die NSU-Mordserie umfassen, sondern müsse auch den Terror der Nationalsozialisten 1933 bis 45 mit einbeziehen, sagte Allianz-Vorsitzender Stephan Doll unserer Redaktion.

Noch heute betreibt die Familie Simsek einen mobilen Blumenstand zwischen Langwasser und Altenfurt.

Noch heute betreibt die Familie Simsek einen mobilen Blumenstand zwischen Langwasser und Altenfurt. © Stefan Hippel, NN

Ebenso rief der Verein Junge Stimme e. V., der sich um junge Migranten kümmert, nach einer offensiveren Beteiligung der Stadt und forderte die Umbenennung der Liegnitzer Straße in Enver-Simsek-Straße, der Siemens- oder der Gyulaer Straße in Abdurrahim-Özudogru-Straße (nach dem zweiten NSU-Mordopfer) und der Scharrerstraße in Ismail-Yasar-Straße (nach dem dritten Nürnberger Opfer).

Den Aufruf hatten 25 Initiativen, Vereine und Parteien unterschrieben, darunter auch SPD, Grüne und Die Linke. Fast zeitgleich weihte die Stadt Jena, in der das NSU-Kerntrio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe aufwuchs, einen Enver-Simsek-Platz ein.

OB gab Simsek-Sohn Versprechen

Man brauche eine "gute Lösung" für alle drei Tatorte in Nürnberg, begründete CSU-Fraktionsvorsitzender Andreas Krieglstein. Die Stadt der Menschenrechte trage dabei besondere Verantwortung. In erster Linie gehe es darum, den kleinen Platz an der Liegnitzer Straße entsprechend zu gestalten.

Was Krieglstein nicht verriet: OB Marcus König hatte bereits bei der Gedenkfeier im September dem Sohn des ermordeten Blumenhändlers, Abdul-Kerim Simsek, versprochen, dem blumenumsäumten Platz an der großen Ausfallstraße den Namen seines Vaters zu geben. König war zu diesem Zeitpunkt in die Kritik geraten: Die antifaschistische Initiative „Das Schweigen durchbrechen“, die in der Vergangenheit mehrere Gedenkveranstaltungen organisiert hatte, warf ihm vor, bislang an keiner Kundgebung teilgenommen zu haben.

Nur ein "Plätzlein"

Der jetzige Oberbürgermeister habe sich bei diesem Thema wirklich "nicht besonders hervorgetan", unterstreicht Gisbert von Eyb, Kreisverbandsvorsitzender der Grünen in Nürnberg. Die von König initiierte Namensvergabe nennt von Eyb "lächerlich", schließlich handele es sich nur um ein "Plätzlein". Das "Minimum" sei, dass man ein Teilstück der Liegnitzer Straße umbenenne.

Doch da bewege man sich auf brüchigem Terrain, betont der Kreisvorsitzende, denn Nürnberg habe bereits heftige Debatten über Straßennamen hinter sich. Das Gedenken habe hohen Stellenwert, zumal es auch deutlich mache, dass noch nicht alle Helfer des NSU dingfest gemacht sind. Die Grünen sind offen für weitergehende Konzepte, die etwa auch die Scharrerschule einbinden könnten, die nahe an einem Tatort liegt.

Schule als Patin

Genau das schwebt SPD-Fraktionschef Thorsten Brehm vor. Leicht verschnupft über das "Vorpreschen" des Rathaus-Kooperationspartners CSU, bereitet Brehm mit Grünen und Linken ebenfalls einen Antrag an die Verwaltung vor: Sie solle im Umfeld eines jeden der drei Tatorte einen geeigneten Platz ausfindig machen, an dem ein Gedenkort eingerichtet werden kann. Alternativ könne auch eine Straße umbenannt werden.


Vor 15 Jahren: Nürnberg gedenkt der NSU-Opfer


Brehm schwebt vor, dass die Scharrerschule, die sich bereits intensiv mit Rechtsradikalismus beschäftigt hat, eine Patenschaft übernehme. Etwa für den Platz rund um die dortige Kirche, der ohnehin aufgewertet werden müsse. Gehe man weg vom unmittelbaren Tatort, erhalte man "viel elegantere Möglichkeiten" der Gestaltung.

Menschenrechtsbüro ist mit dabei

Tobias Schmidt, Leiter des Bürgermeisteramtes, in dem die Anträge eingehen, sagte, man wolle keinesfalls "aus der Hüfte schießen", sondern ein solides Gesamtkonzept vorlegen. Deshalb arbeite man eng mit dem Menschenrechtsbüro zusammen, das Kontakt zu den Opferfamilien halte. Sie sollten in jedem Fall an der Konzeption beteiligt werden.

Martina Mittenhuber, die Chefin des Menschenrechtsbüros, hätte gerne noch jemanden mit im Boot: Kulturbürgermeisterin Julia Lehner. Schließlich betreibe man - etwa im Dokuzentrum - Bildungsarbeit. Zudem bestünde bei der Ausarbeitung eines umfassenden Erinnerungskatalogs die Chance, Mahnmale wie etwa das für Zwangsarbeiter am Plärrer oder die Gestaltung des Platzes der Opfer des Faschismus unter die Lupe zu nehmen.

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