"Täter sind oft unglaublich doof"

Der Mord an Alexandra R. und das perfekte Verbrechen: Rechtsmediziner räumt mit Märchen auf

Tobi Lang

Redakteur

E-Mail zur Autorenseite

14.9.2024, 05:00 Uhr
Michael Bohnert (rechts) ist erfahrener Rechtsmediziner von der Würzburger Universität. Über den Fall der mutmaßlich ermordeten Alexandra R. aus Nürnberg (links) will er nicht sprechen - er erklärt allerdings, unter welchem Umständen es das perfekte Verbrechen gibt.

© privat, Tobi Lang Michael Bohnert (rechts) ist erfahrener Rechtsmediziner von der Würzburger Universität. Über den Fall der mutmaßlich ermordeten Alexandra R. aus Nürnberg (links) will er nicht sprechen - er erklärt allerdings, unter welchem Umständen es das perfekte Verbrechen gibt.

Michael Bohnert ist alles andere als ein kühler Pragmatiker. Mehrere Tausend Leichen hat der Rechtsmediziner im Lauf seiner Karriere begutachtet und versucht herauszufinden, was wirklich mit ihnen geschehen ist. "Das erste, was man dabei verliert, ist eine Illusion über den Zustand des eigenen Körpers." Der Blick auf die Organe und in das Innerste eines Menschen offenbart, was wir alle wirklich sind: Fleisch und Blut, im wahrsten Sinne des Wortes. Eine gewisse Gewöhnung, sagt Bohnert, trete dabei natürlich ein. Alles andere wäre absurd. "Ich habe zwar keinen persönlichen Bezug zu der Person, die da vor mir auf dem Tisch liegt." Doch für den Rechtsmediziner ist ein Mindestmaß an Respekt selbstverständlich.

Was Bohnert ebenfalls bereits unzählige Male sah, war der Versuch eines perfekten Verbrechens. "Aber Täter sind unglaublich doof", sagt der Leiter des rechtsmedizinischen Institutes der Universität Würzburg. Viele würden ihr Wissen aus True-Crime-Serien und Krimis ziehen. "Die glauben, dass das, was da dargestellt ist, die Wirklichkeit sei. Aber das ist meistens nicht so."

Warum es für das perfekte Verbrechen Glück braucht

Gibt es das perfekte Verbrechen überhaupt? Bohnert glaubt daran - nur könne man es nicht planen. "Eigentlich können sie nur Glück haben, dass sie nicht entdeckt werden", sagt er. Für einen Mord, der unerkannt bleibt, braucht es erst einmal das ideale Opfer. "Wenn es eine engere Beziehung ist, habe ich eigentlich schon verloren. Dann sollte ich die Finger von einem Tötungsdelikt lassen." Die absolute Mehrheit aller Gewaltverbrechen findet unter Menschen statt, die sich kennen. Ermittler durchleuchten sofort das persönliche Umfeld des Opfers, suchen nach dem Motiv - und gelangen dabei schnell zu den Partnern. "Ich weiß, wie Ermittler denken", sagt Bohnert. "Und bei denen schrillen da alle Alarmglocken."

Nicht zuletzt deshalb werden weit über 95 Prozent aller Morde in Deutschland aufgeklärt. Und doch gibt es immer wieder Fälle, an denen sich die Ermittler die Zähne ausbeißen. "Die perfekte Tat ist diejenige, die ich gar nicht als Mord erkenne", sagt Bohnert. Er kennt den berühmten Spruch, man müsse es nur wie einen Unfall aussehen lassen - doch genau hier widerspricht der erfahrene Rechtsmediziner. "Es muss wie ein natürlicher Tod aussehen." Dabei wäre ein Täter aber erneut auf Glück angewiesen - und zwar dass der Tote an einen Arzt zur Leichenschau gerät, der nicht allzu genau hinsieht. Denn jeder Mord hinterlässt Spuren, auch, wenn sie manchmal nicht leicht zu entdecken sind. "Das Beste ist aber, wenn die Polizei gar keinen Grund hat zu ermitteln."

Der Fall Alexandra R.: Wie konnte die Leiche verschwinden?

Wenn die Leiche nicht auftaucht, wird es kompliziert - so, wie im Fall der getöteten Alexandra R. aus Nürnberg. Noch immer fehlt von der Frau, die im Dezember 2022 hochschwanger verschwand und nach Überzeugung des Landgerichts Nürnberg-Fürth von einem Ex-Lebensgefährten und dessen Geschäftspartner ermordet wurde, jede Spur. Bislang schafften es die mutmaßlichen Täter, die Leiche der damals 39-Jährigen zu verstecken. Wie geht das?

"Viele konzentrieren sich zu sehr auf die Tat und blenden dabei aus, dass es auch eine Vor- und vor allem eine Nachtat gibt", so der Rechtsmediziner, der bewusst keine Anleitung geben will, eine Leiche verschwinden zu lassen. Ein Großteil der Mörder macht sich keine oder nur oberflächliche Gedanken darüber, wie sie die Leiche verschwinden lassen wollen.

Verbrennen, sagt Bohnert, würde je nach Temperatur Stunde oder sogar Tage dauern. Wer eine Leiche in einem Fluss versenken will, brauche ein Boot und einen geeigneten Gegenstand zum Beschweren. Und bei Säure brauche man nicht nur chemische Fachkenntnisse, sondern auch geeignete Stoffe und einen Behälter, in dem sich die Leiche zersetzen kann. "Es geht alles, wenn man die zeitlichen und räumlichen Möglichkeiten hat", sagt der Rechtsmediziner. "Aber wenn man keine Zeit und nur eine Ein-Zimmer-Wohnung hat, wird es schwer. Und unter Beobachtung geht eigentlich gar nichts mehr."

Podcast: Der Fall Alexandra R.

Der Podcast "Abgründe" beleuchtet in sechs Folgen einen der spektakulärsten Kriminalfälle der Region - das Verschwinden der Alexandra R. aus Nürnberg-Katzwang. In der vierten Folge, "Mord ohne Leiche", sprechen wir mit Rechtsmediziner Michael Bohnert, rekonstruieren die Suche der Kriminalpolizei und die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Die Sonderkommission setzte damals Taucher ein, ließ Telefone abhören und die Ermittler gingen selbst Hinweisen von Hellsehern nach. All dies zeigt, wie aufwändig - und auch wie verzweifelt - seit Dezember 2022 nach Alexandra R. gefahndet worden ist. Die Frau war zum Zeitpunkt ihres Verschwindens 39 Jahre alt und im achten Monat schwanger. Ihre Leiche wurde bis heute nicht gefunden – daher basiert das Urteil nach einem langen Mordprozess allein auf Indizien. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und offiziell läuft die Vermisstensuche noch immer. Was passierte am Tag des Verschwindens? Wer war Alexandra R.? Welches Motiv hatten die Täter? In unserem Podcast erzählen wir die ganze Geschichte des mysteriösen Nürnberger Mordfalls. Das Verschwinden von Alexandra R. auf Spotify Das Verschwinden von Alexandra R. bei Apple Podcast Das Verschwinden von Alexandra R. auf YouTube

Verwandte Themen