„Der Witz steckt ja im Wahnsinn“
22.5.2015, 12:15 UhrHerr Sittler, sind Sie schon immer ein Fan von Dieter Hildebrandt gewesen, oder wie kamen Sie zu dem Text, mit dem Sie jetzt auf Tour sind?
Walter Sittler:Ja, ich war schon immer ein großer Fan von Dieter Hildebrandt, aber ich habe ihn leider nie persönlich kennengelernt. Der Verlag hatte mich angefragt, ob ich denn dieses Buch mit seinen letzten Texten einlesen möge. Das hat mich zunächst gewundert, weil ich ja kein Kabarettist bin. Aber Renate Hildebrandt, seine Witwe, hatte sich das gewünscht, weil Hildebrandt mich wohl geschätzt hat, auch mein öffentliches Engagement in Stuttgart gegen den Bahnhof. Es war schön zu sehen, dass es da Sachen gab, von denen ich gar nichts wusste. Ich habe dann natürlich zugesagt. Vor einem Jahr habe ich schließlich bei einer Veranstaltung zu Hildebrandts Ehren in Berlin aus „Letzte Zugabe“ gelesen, und daraus ergab sich das Programm für einen ganzen Abend. Und es macht wahnsinnig Spaß.
Schwingt in diesem letzten Buch von Hildebrandt auch ein bisschen Altersweisheit mit oder war er bissig wie eh und je?
Sittler: Nein, es gab für ihn gar keinen Anlass, milder zu werden, im Gegenteil. Er war bis zum Ende ein Unruhegeist, der ganz genau hingeschaut hat. Es ist unglaublich, was er bis zum Schluss, mit über 80, auf der Bühne getrieben hat.
Hildebrandt war ja durchaus ein Bühnentier mit einem ganz eigenen Sprachduktus. Kommt man da in Versuchung, ihn zu imitieren?
Sittler: Das Interessante bei Hildebrandt ist ja, wie er denkt und wie er springt, um Sachen unter der Oberfläche sichtbar zu machen. Das versuche ich deutlich zu machen, denn es ist ja das Gedankengebäude (oder Gefühlsgebäude, je nachdem, was man spielt), was eine Figur oder einen Menschen auszeichnet. Hildebrandts Art zu denken mochte ich schon immer: Dass er glänzende Fassaden aufbricht, um die Dinge zu zeigen, wie sie wirklich sind. Zum Beispiel bei Politikern. Er macht drei Sprüche dazu, und dann weiß man, dass das ganz normale Menschen sind, die auch nicht so genau wissen, wie es geht. Der Witz steckt dabei ja im Wahnsinn. Es ist ein großes Vergnügen, das zu spielen, nicht unanstrengend, aber ich mag es.
Sie sind ja selbst mit vielen komischen Rollen bekanntgeworden. Ist Ironie für Sie persönlich auch eine Art, mit schwierigen Themen umzugehen?
Sittler: Sagen wir so: Im normalen Leben ist das nicht immer ganz so einfach, weil vieles, gerade im politischen Leben, sehr kompliziert und auch deprimierend ist. Aber es ist wichtig, dass man das alles auch nicht zu ernst nimmt. Hildebrandt hat mal gesagt, auf seinem Grabstein solle stehen: ,Morgen ist auch noch ein Tag‘. Das gefällt mir an ihm und auch an Erich Kästner: Sich selbst nicht so wichtig nehmen, aber ohne die eigene Wichtigkeit ganz unter den Teppich zu kehren. Auch bei großen Anliegen ist Ironie zwischendurch unglaublich wichtig, damit es nicht so bleischwer wird. Letztlich soll es ja auch noch Spaß machen.
Sie sind auf der Bühne sonst nicht mehr oft zu sehen. Ist das Hildebrandt-Programm auch eine kleine Flucht vor TV-Drehtagen?
Sittler: Das nicht, weil ich sehr gerne drehe. Ich genieße aber die Bühne, weil das meine berufliche Heimat ist. Ich habe in den letzten zehn Jahren sehr viele Vorstellungen mit meinem Kästner-Programm gespielt. Diese Hildebrandt-Texte habe ich sozusagen geschenkt bekommen. Das möchte ich jetzt eine Weile machen. Irgendwann wird aber der Punkt kommen, an dem die Texte nicht mehr aktuell genug sind. Das ist eben beim Kabarett so. Es ist einfach eine große Verbeugung vor Dieter Hildebrandt.
„Letzte Zugabe“: Kabarettistische Lesung, 23. Mai, 20 Uhr, Hubertussaal, Dianastraße 28, Karten-Telefon: 09 11/26 15 10, www.gostner.de
Das Hörbuch ist bei Random
House Audio erschienen.
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