"Die Institution Kirche hat mich genervt"
10.1.2013, 03:00 UhrFrau Schmidt, wie oft und zu welchen Gelegenheiten gehen Sie in die Kirche?
Schmidt: Im Jahr etwa 15- bis 20-mal. Es gibt meistens schon einen äußeren Anstoß, aber ich gehe nicht nur zu Anlässen wie Weihnachten oder bei einer Hochzeit in die Kirche.
Sind Sie religiös erzogen worden?
Schmidt: Als kleines Kind: ja. Mein Vater war katholisch, meine Mutter evangelisch. Meine jüngere Schwester und ich wurden evangelisch getauft. Ich erinnere mich daran, wie mein Vater mit mir und meiner Schwester gebetet hat. Er ist dann allerdings aus der Kirche ausgetreten und ein richtiger Kirchenfeind geworden. Meine Mutter ist in der Kirche geblieben, und ich bin eine sehr gläubige Konfirmandin gewesen.
Wie veränderte sich das Verhältnis zu Ihrem Vater nach seinem Kirchenaustritt?
Schmidt: Ich musste mich gegen meinen Vater durchsetzen und mich vor ihm rechtfertigen. Denn ich habe sonntags von der Kirche initiierte freiwillige Dienste im Krankenhaus geleistet, das hat er abgelehnt. Er meinte, dass die Kirche mich dafür bezahlen müsste. Schließlich würde genügend Kirchensteuer gezahlt.
Welche Gründe führten zu Ihrem Kirchenaustritt?
Schmidt: Anfang der 1960er Jahre bin ich nicht etwa wegen der Kirchensteuer ausgetreten, sondern weil ich mich so über die Institution Kirche aufgeregt habe, dass ich gesagt habe: So, jetzt ist Schluss! Ein Grund war die Skepsis gegenüber der Institution Kirche. Die Institution hat mich genervt. Weil sie sich nicht eindeutig von den Nazis distanziert und ihre Rolle im Dritten Reich nicht problematisiert hat. Ich hatte den Eindruck, dass sie nur mit den Mächtigen paktierte. Und dann wurde mal wieder eine Erzieherin hinausgeworfen, weil sie sich nicht konform verhalten hatte. Das brachte bei mir das Fass zum Überlaufen. Sicherlich kam hinzu, dass mein erster Mann sehr unreligiös war, ein Existenzialist, ein Atheist. Er ist deutlich früher als ich aus der Kirche ausgetreten.
Haben die Reaktionen der Gemeinde auf ihre frühe Schwangerschaft eine Rolle für Ihren Kirchenaustritt gespielt?
Schmidt: Die Reaktionen der Gemeinde waren nicht ausschlaggebend. Das habe ich so ernst nicht genommen. Das war Jahre später, dass ich aus der Kirche ausgetreten bin. In der Schule hat außer dem Zeichen- und dem Klassenlehrer niemand mit mir über die Situation gesprochen. Selbst der Religionslehrer, ein evangelische Pfarrer, hat nur den Kopf geschüttelt über mich. Das hat mich frustriert, weil es seine Aufgabe gewesen wäre, sich dieser Renate Pokorny (Schmidts Mädchenname, Anmerkung der Redaktion) anzunehmen und mit ihr über die Situation zu reden.
Hat der Bruch mit der Kirche Ihrem Glauben einen Knacks gegeben?
Schmidt: Nein, nie! Ich habe das vielleicht zu lange als zwei vollkommen getrennte Bereiche gesehen: Da war der Glaube, der für mich Bestand hatte, und da war auf der anderen Seite die Institution, die diesen Glauben in meinen Augen damals mehr schlecht als recht verwaltet hat.
Weshalb haben Sie sich wieder an die Institution angenähert?
Schmidt: Ich habe erst sehr viel später erkannt, dass Glaube auch einen Ort braucht und dass dieser Ort die Kirche ist. Und ich habe festgestellt, wie sich die Kirche, besonders die evangelische, verändert hat.
Wann haben Sie diese Veränderungen bemerkt?
Schmidt: Es gab 1979 in Nürnberg einen Evangelischen Kirchentag, da dachte ich: Mein Gott, die haben sich aber verändert. Damals hat mein Mann noch gelebt und ich dachte, das kann ich ihm nicht antun, dass ich wieder eintrete. Aber hätte ich es doch gemacht! Als ich dann Abgeordnete war, ist es sehr viel schwerer geworden. Ich dachte immer – und es war dann auch so –, dass man glauben würde, ich wollte in Bayern nur mein Fähnchen nach dem Wind hängen.
Was gab 1993 dann den Ausschlag für Ihren Wiedereintritt?
Schmidt: Als ich bereits bayerische Landesvorsitzende und Vizepräsidentin war, saß ich beim evangelischen Kirchentag auf dem Hesselberg neben der damaligen Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler. Ich erzählte ihr, dass ich gerne wieder eintreten würde, aber eine falsche Auslegung des Schritts befürchtete. Sie hat geantwortet: Dann können Sie erst eintreten, wenn Sie schon beinahe auf der Schippe sind. Darauf habe ich mir ein Herz gefasst und bin nach Stein zu einem befreundeten Pfarrer, den ich aus der Friedensbewegung kannte, gefahren. Er zeigte mir, wo ich unterschreiben sollte und schickte mich mit dem Formular zum Finanzamt. Mehr war da nicht notwendig. Das bleibt auch unter uns, versprach er mir. Die Medien bekamen doch Wind davon. Die Süddeutsche Zeitung berichtete unter der Überschrift „Reuige Renate“.
Wie kam es dazu?
Schmidt: Drei Wochen nach meinem Wiedereintritt fand in Nürnberg ein Kirchentag der Südstadtkirchen statt. Am Ende einer Podiumsdiskussion sollten Günther Beckstein, Hans-Jochen Vogel und Renate Schmidt erklären, wie sie es persönlich mit ihrem Glauben halten. Vor mir vollbesetzte Kirchenbänke, hinter mir das Kreuz – jetzt hatte ich zwei Möglichkeiten. Lügen oder die Wahrheit sagen. Ich habe mich für die Wahrheit entschieden, habe meine Beweggründe geschildert und das war's. Dann habe ich die anwesenden Journalisten von den Nürnberger Nachrichten, von der Nürnberger Zeitung und vom Evangelischen Pressedienst beinahe angefleht, sie möchten nichts darüber schreiben. NN und NZ haben nichts berichtet, der vom epd hat's gebracht. Dann geschah, was ich nicht wollte. Mir wurde unterstellt, dass ich nur aus politischen Gründen wieder eingetreten bin. Ich habe darauf nie reagiert. Und dadurch ist das innerhalb von 14 Tagen verschwunden gewesen.
Gab es Forderungen von Kollegen oder Parteifreunden Ihnen gegenüber, wieder in die Kirche einzutreten?
Schmidt: Nein, nie!
Bleibt denn heute in der Politik überhaupt noch genug Zeit, über religiöse Themen nachzudenken?
Schmidt: Ich glaube, heute ist sogar wieder mehr Zeit dafür da. Im Bundestag gibt es einen Gebetsfrühstückskreis, dem ich auch nach meinem Aussscheiden aus dem Parlament noch immer angehöre. Der hat auch regionale Ableger. Dort unterhalten sich Abgeordnete unterschiedlicher Fraktionen und Religionen, aber teilweise auch Menschen, die keiner Konfession angehören, darüber, was sie bewegt. Ich habe es als sehr wohltuend empfunden, dort Kollegen manchmal von einer ganz anderen Seite kennenzulernen.
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