Die Lust an der offenen Hose: Was Exhibitionisten antreibt
21.10.2014, 16:58 UhrZunächst eine überraschende Erkenntnis: „Die wenigsten Exhibitionisten wollen ihrem Opfer Angst machen“, erklärt Claudia Schwarze. Sie ist Leiterin der Fachambulanz für Sexualstraftäter in Nürnberg. Etwa jeder zehnte ihrer Klienten wurde wegen einer exhibitionistischen Handlung verurteilt. Oft handelt es sich dabei um ausgelebte Fantasien – der Mann stellt sich dabei vor, die Frau sei von seinem Geschlechtsteil so beeindruckt, dass sie Sex mit ihm haben will. „Es handelt sich oft um Männer, die bei Frauen wenig Chancen haben.“
Die Angst der Opfer ist in den wenigsten Fällen das Ziel
Dass die Realität dann anders verläuft als der Wunschtraum, ändert nichts daran, dass durch das Erlebnis die Fantasie weiter angefeuert wird. „Viele Exhibitionisten sind Wiederholungstäter.“ Wenn Claudia Schwarze in der Therapie von den Ängsten spricht, die eine solche Tat bei den Opfern auslösen kann, sind die Täter oft ehrlich schockiert. „Das ist auch eine gute Motivation für sie, an ihrem Problem zu arbeiten.“
Beim Exhibitionismus handelt es sich – wie auch beim Voyeurismus und beim Frotteurismus (das heimliche Reiben an fremden Menschen, etwa in der U-Bahn) – um eine sogenannte Präferenzstörung, also eine von der Norm abweichende sexuelle Neigung. Laut Schwarze haben vier Prozent aller Männer eine exhibitionistische Störung. Oft überschneiden sich mehrere Störungen: Exhibitionisten etwa tätigen häufig auch obszöne Anrufe. Um die Störungen in den Griff zu bekommen, ist eine Therapie nötig.
Doch das Opfer braucht unter Umständen ebenfalls psychologische Hilfe. Auch wenn die Begegnung mit einem Exhibitionisten gern als spaßig abgetan wird, kann sie in manchen Fällen zu Angstzuständen führen. „Das ist individuell ganz verschieden“, weiß Karin Lindsiepe von der Frauenberatungsstelle Nürnberg.
Nur zwei Prozent werden zu Vergewaltigern
Die Folgen hängen – neben der eigenen Persönlichkeit – von vielen Faktoren ab: Wenn das Opfer nachts im Park allein unterwegs ist und ein Nackter hinter dem Gebüsch vorspringt, ist das in der Regel traumatisierender als eine Begegnung in der vollbesetzten U-Bahn. Und eine Frau, die in ihrem Leben schon Opfer sexueller Gewalt wurde, wird eine exhibitionistische Handlung als belastender empfinden. Entscheidend ist auch, ob das Opfer das Gefühl hatte, sich zur Wehr setzen zu können. Und ob es hinterher von Polizei, Justiz und sozialem Umfeld ernst genommen und unterstützt wird; das gilt übrigens auch für andere Sexualdelikte wie Vergewaltigungen.
Um sich gegen einen Exhibitionisten zu wehren, ist es freilich selten nötig, handgreiflich zu werden. „Nur zwei Prozent der Exhibitionisten werden im Verlauf ihres Lebens zu Vergewaltigern“, betont Claudia Schwarze. „Es ist in diesem Moment vor allem wichtig, laut und bestimmt aufzutreten“, rät Karin Lindsiepe. Wer Probleme damit hat, bestimmt aufzutreten, sollte einen Selbstverteidigungskurs machen, empfiehlt sie. Wenn während der Tat andere Menschen in der Nähe sind, sollte man diese auf sich aufmerksam machen.
„Wichtig ist auch, sich die äußeren Merkmale des Mannes zu merken, damit er leichter gefunden werden kann“, betont Polizeisprecherin Elke Schönwald. Denn, da sind sich alle drei Expertinnen einig, anzeigen sollte man einen Exhibitionisten in jedem Fall. Schon allein, um künftige Opfer vor ihm zu bewahren. Bestraft werden Exhibitionisten mit einer Geld- oder Bewährungsstrafe. Handelt es sich bei den Opfern um Kinder, wird die Tat nicht als exhibitionistische Handlung, sondern als sexueller Missbrauch geahndet. Dann kommt auch eine Haftstrafe infrage.
Werden gezielt Kinder als Opfer ausgewählt, ist der Täter entweder pädophil – auch in diesem Fall besteht die Fantasie laut Therapeutin Claudia Schwarze übrigens meist darin, dass das Opfer sexuelles Interesse an ihm haben könnte, so unglaublich das auch klingen mag. Oder er traut sich nicht, sich vor erwachsenen Frauen zu entblößen. Dann zieht er die Hose vor Halbwüchsigen herunter; sie sind schlicht und ergreifend die leichteren Opfer.
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