Digitale Kinderbücher boomen
12.3.2015, 20:13 UhrMöweneltern, Möwenkinder und Walross: Sechs Kinder haben die Rollen unter sich aufgeteilt. Mit vorsichtiger Stimme fängt die erste Viertklässlerin zu lesen an. Das Publikum ist mucksmäuschenstill. „Lauter“, flüstert die Klassenlehrerin. Die erste Nervosität ist schnell verflogen. Die Schüler blühen in der Erzählerrolle auf. Das Walross brummt mit tiefer Stimme, die Möwenschwestern streiten sich in schrillen Tönen.
Kinder beim Lesen. Normal, könnte man denken. Nicht ganz: Anstatt aus einem Bilderbuch, lesen die Kinder unter einer Leinwand, auf die das Bilderbuch projiziert wird. In einer Szene schlüpft ein Möwenküken aus dem Ei, orange Schnäbel bewegen sich langsam im Gespräch. Der Text, den die Schüler dazu lesen, erscheint im Bild.
Muss man Bücher nun schon in einen Bildschirm schneidern, damit die Kinder lesen? Warum eigentlich nicht, findet Sabine Schmeiser, Lehrerin der Uhland-Grundschule. „Manche Kinder, vor allem Jungs, die eigentlich kein Buch anrühren wollen, fangen damit auf einmal an zu lesen.“
Da die digitale Leseförderung schon seit einigen Jahren boomt, sind animierte Bücher keine Neuheit. So will man die Kinder früh an die Technik heranführen. „Die digitalen Medien gibt‘s eben. Jetzt gilt es, was Gutes draus zu machen“, findet Petra Bamberger, Lesebeauftragte der Stadtbibliothek. Durch eine Spende des „Lions Club“ konnte die Uhland-Schule das Leseportal „Onilo“ in Zusammenarbeit mit der Stadtbibliothek ein Jahr lang testen.
Pausetaste für die Fantasie
„Onilo“ funktioniert so: Aus dem Internet wird ein bestimmtes Bilderbuch auf den Laptop geladen. Ein Beamer projiziert die Animationen dann an die Wand des Klassenzimmers. So können alle mitlesen und -schauen. „In der Gruppe fällt Kindern das Vorlesen so leichter, weil sie nicht gleichzeitig das Buch zum Publikum drehen müssen, um die Bilder zu zeigen“, erklärt Schmeiser.
Nicht nur das Lesen wird trainiert. Die Lehrerin nutzt das digitale Buch auch als Schreibübung. Zwischendurch auf die Pausetaste gedrückt, können sich die Schüler überlegen, wie die Geschichte weitergehen soll.
Eigentlich kann man das mit einem herkömmlichen Buch aber auch. Was ist dann das Besondere am digitalen? „Wo sie lesen, ist mir egal. Ob am PC oder im Buch, Hauptsache, sie lesen“, stellt Bamberger klar. Es sei aber nicht zu übersehen, dass die Schüler an „Onilo“ ihren Spaß haben. „Die sehen, da bewegt sich was“, erklärt die Lesebeauftragte. „Und das ist was ganz Interessantes für die Kinder.“
Bamberger betont, wie wichtig es sei, die Schüler zum Lesen zu bringen. „Wenn der Funke da ist, kommen die von selbst.“ Der muss aber erst einmal überspringen. Helfen soll vor allem, wenn man den Kindern vorliest. Deswegen will Bamberger die Eltern mit ins Boot holen. „Setzt eure Kinder nicht vor den Fernseher. Beschäftigt euch mit ihnen.“
Für eine flächendeckende Nutzung von „Onilo“ sind die Schulen jedoch noch nicht ausgestattet. Ob sich das bald ändert, ist letztendlich eine Frage des Geldes.Im Moment genießen die Schüler das Portal noch ausgiebig. Dass einzelne Einsätze zu spät kommen, wird mit einem verlegenen Lächeln abgetan. Die Zuhörer nehmen‘s ihnen nicht krumm: Sie sind schon längst im Bann der Erzähler. An einer spannenden Stelle der Geschichte ruft ein kleiner Junge „oh nein“ und schlägt sich die Hand vor den Mund. Aber das Buch nimmt bald wieder eine lustige Wendung, so dass selbst die Vorleser sich das Grinsen kaum verkneifen können.
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