"Disneyisierung": Offener Brief gegen Rathaussaal-Ausmalung
6.5.2014, 16:22 UhrVier versierte Fachleute, die das kulturelle Klima Nürnbergs geprägt haben, sprechen sich in einem gemeinsamen Brief gegen eine Ausmalung des Rathaussaals aus. Neben den einstigen Kulturreferenten Professor Hermann Glaser und Georg Leipold haben Michael Popp, ehemals Leiter des Amts für Kultur und Freizeit, sowie der einstige Leitende Kulturdirektor Siegfried Kett unterzeichnet. Hier der Wortlaut: „Die von den Nürnberger Altstadtfreunden angestrebte Ausmalung des Rathaussaals ist historisch mehr als bedenklich ... (sie) rückt ein, die konkreten geschichtlichen Zeitverläufe in ihren baulichen Auswirkungen exemplarisch aufzeigendes Stück Nürnberger Baukultur — mit all ihren Phasen von Werden und Vergehen — in eine Ecke der Erlebnisgesellschaft.
Die vermeintliche Rekonstruktion eines Dürers-Entwurfs hält keiner ernsthaften wissenschaftlichen Debatte stand. Und die aus dieser Erkenntnis gespeiste Zielformulierung einer Bemalung „nach dem durch Fotos aus den Jahren 1943/1944 dokumentierten Vorkriegszustand aus dem Jahr 1904/1905“ redet einem Verständnis von Tradition das Wort, das die „Anbetung der Asche“, wie Gustav Mahler formulierte, zum zentralen Motiv des Nachdenkens über Geschichte macht.
Der jetzige Zustand ist geprägt von den Zeichen der wechselvollen Geschichte dieses Saals — Errichtung, Überarbeitung, Neubemalung, ergänzender Konstruktion, Übermalung, Veränderung, Kriegszerstörung und Wiederaufbau. Das Resultat: eine lebendig wirkende Holzvertäfelung im weichen Kontrast zu den ruhigen, hellen Wänden. Ist es der „horror vacui“, der eine Bemalung fordert — die Angst vor den leeren Wänden, die ein Nachdenken über den Gang der Zeit und seine Wirkungen im konkreten Leben herausfordert? Oder der Wunsch, eine „öffentlich zugängliche Attraktion“. .. zu schaffen, die diesen Saal den Gefahren einer Disneyisierung der Stadtgeschichte am historischen Objekt aussetzt?
Wir finden: Eine Ausmalung des Rathaussaals nach den Vorstellungen der Altstadtfreunde ist ebenso falsch wie überflüssig. Und dies klar zu sehen, ist ebenso wenig eine „Geschmacksfrage“ wie eine Frage danach, „wie das Herz schlägt“.
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