Drogenszene trifft sich neuerdings direkt vor Hauptbahnhof
17.6.2017, 13:35 Uhr"Lumpi" ist erst seit ein paar Tagen raus aus dem Knast. "Ich bin noch sauber", sagt er und grinst. Die Haare trägt er seitlich am Kopf abrasiert, den übrigen Schopf hat er zu einem kleinen Dutt gebunden. Auf seinem Oberarm prangt eine Tätowierung, die selbst gestochen aussieht.
Die Leute, mit denen sich "Lumpi" umgibt, sind dieselben wie vor seinem Gefängnisaufenthalt. Nur der Ort ist neu. Die Szene trifft sich nicht mehr in der Königstorpassage und auf dem sogenannten Balkon im angrenzenden Stadtgraben. Dort ist es ungemütlich geworden, weil die Polizei ständig auf der Matte steht. Stattdessen halten sich die Drogenabhängigen seit ein paar Wochen vor dem Mittelportal des Hauptbahnhofs auf. Zeitweise kommen ein paar Dutzend zusammen.
Martin Kießling hat sich etwas abseits vom Haupteingang postiert. Der Streetworker der Mudra-Drogenhilfe muss nicht lange warten, dann kommen die Ersten auf ihn zu. "Hi, was geht ab?" wird er begrüßt. Manchmal mit Handschlag. Kießling fragt: "Brauchst du was?" Kaum einer lehnt ab. Dann greift der 27-jährige Sozialpädagoge in seine Umhängetasche wie in einen Bauchladen und teilt Spritzen und Nadeln in unterschiedlichen Größen aus. Alkoholtupfer zur Desinfektion der Haut, Ascorbinsäure zum besseren Auflösen, kleine Pfännchen und Filter, damit nicht allzu viel Schmutz in die Adern gelangt.
Wenn man es schon nicht verhindern kann, dass Menschen Drogen nehmen, dann sollen sie sie wenigstens mit einer sterilen Nadel konsumieren. Safer Use - das ist ein Ansatz der Drogenhilfe. Auch "Lumpi" lässt sich ein paar Utensilien geben; für eine Freundin, wie er sagt.
Die Spritzenausgabe geschieht unter den Augen der Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes der Deutschen Bahn, die auf den Treppenstufen vor dem Haupteingang stehen und jeden, der sich hinsetzen will, aufscheuchen. Auch Reisende bekommen mit, was hier Sache ist. "Du steigst aus dem Zug aus und siehst, wie hier Spritzen verteilt werden. Was macht das für einen Eindruck?", echauffiert sich Daniel Grau (22), der zufällig vorbeikommt. Er habe sich den Platz nicht ausgesucht, entgegnet der Streetworker. Er müsse schauen, wo er Kontakt aufbauen könne zu seinen Klienten, fährt er fort. Martin Kießling gibt dem 22-Jährigen aber recht, dass der Platz vor dem Hauptbahnhof nicht das Wahre ist.
Dass sich der Drogentreff dorthin verlagert hat, schmeckt keinem. Erst recht nicht der Deutschen Bahn, die ihrem Ärger in der vergangenen Woche Luft gemacht hat. Es folgte ein erstes Krisengespräch zwischen DB und Sozialamt der Stadt, kommende Woche steht ein zweites mit dem Ordnungsamt an. "Wir sind dran", sagt Amtschefin Katrin Kurr. Die Bahn hat derweil die Präsenz ihres Sicherheitsdienstes hochgefahren, auch die Bundespolizei sieht nach Angaben der Bahn häufiger nach dem Rechten.
Mudra-Geschäftsführer Bertram Wehner wundert es nicht, dass sich die Szene ein neues Plätzchen gesucht hat. "Das ist die Konsequenz aus den Maßnahmen der Stadt und der Polizei, die Königstorpassage sauber zu kriegen", konstatiert er nüchtern. Jahrelang hatte die Szene dort ihre Nische.
Doch zuletzt ist die Stimmung spürbar gekippt. Es gab mehr Straftaten: mehr Drogendelikte, mehr Schlägereien und mehr Beschwerden. Die Stadt hat daraufhin einen harten Kurs eingeschlagen. Oberbürgermeister Ulrich Maly ließ wissen, dass es ohne Repression nicht gehe.
"Da gab’s jeden Tag ’ne Razzia. Da ist es drunter und drüber gegangen mit dem USK", erzählt "Lumpi" und meint mit "USK" das "Unterstützungskommando" der Polizei. Der 34-Jährige sagt, was etliche hier bestätigen: Die Lage sei mit dem Zuzug der Flüchtlinge aus dem Ruder gelaufen. "Die haben zu viele Kräuter verkauft." Sogenannte Kräutermischungen, die als Drogen konsumiert werden. "Lumpi": "Durch die Kräuter ist es ausgeartet."
Als die Polizei ihre Kontrollen verschärfte, mäanderte die Szene hin und her, ließ sich zeitweise am Aufseßplatz oder an der Wöhrder Wiese nieder. Dass sie zuletzt vor dem Hauptbahnhof gelandet ist, behagt nicht einmal den Betroffenen selbst. "Hier sieht es jeder. Da unten waren wir sicher", sagt "Lumpi" und meint die Königstorpassage. "Ich kann es nicht begreifen, dass sie uns kleinen Junkies jeden Platz wegnehmen", fährt er fort.
Lage verschlechtert
Ein älterer Mann ("Ich nehm’ kein Heroin, ich bin Kiffer"), der alle hier zu kennen scheint, spricht, als hätte er mit den Menschen hier nicht das Geringste zu schaffen: "Möchtest du das sehen, wenn du in eine Stadt kommst? Schau dir doch die Leute an!" Auch ihm war "die Köpa" lieber.
Auch aus Sicht des städtischen Suchtbeauftragten Norbert Kays hat sich die Situation mit der Verlagerung der Szene vor den Bahnhof "verschlechtert". Er wünscht sich für die Menschen einen "Ort im Umfeld des Hauptbahnhofs, wo sie sich aufhalten können", ohne gleichzeitig auf dem Präsentierteller zu sitzen. Dass der Zugang zum ehemaligen Treff im Stadtgraben mit einer Gittertür abgeriegelt werden soll, hält er für falsch.
Mudra-Chef Wehner plädiert klipp und klar dafür, die Leute wieder dorthin zu lassen. Der Ausgang von der Königstorpassage zum Stadtgraben sei der sozialverträglichste Platz, findet der Sozialpädagoge.
Zwischen 1500 und 2000 Menschen nehmen in Nürnberg schätzungsweise Opiate, also auch Heroin. 400 bis 500 von ihnen gehören laut Mudra zur "offenen Szene". Wenn die vertrieben wird, wird es auch für die Streetworker schwieriger, Kontakt zu den Abhängigen aufzubauen. "Dann bist du nur am Hinterherrennen", sagt Kießling.
Auch im Gewimmel vor dem Hauptbahnhof ist nur Zeit für die allernötigsten Sätze. Für ein kurzes "Wie geht’s Dir?" oder "Ich mach’ mir Sorgen um Dich". Die Szene ist ohnehin getrieben, immer auf der Suche nach Geld, Rauschgift, nach einem Ort, um zu spritzen oder auf der Flucht vor der nächsten Polizeikontrolle. Doch heute scheint der Nachschub auszubleiben. "No stuff", sagt einer und läuft nervös weiter.
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