Gedenkkultur
Ehrung für NSU-Opfer: Stadt benennt Platz nach getötetem Blumenhändler
16.7.2021, 13:12 UhrWie sieht ein würdiges Gedenken an die Opfer der Rechtsterroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) in Nürnberg künftig aus? Die Stadt räumt der Erinnerungskultur einen hohen Stellenwert ein und will mit einer Platzumbenennung und mehreren Gedenktafeln das Andenken der getöteten Mitbürger ehren.
Dennoch dürfte es im Stadtrat in der kommenden Woche (Mittwoch, 21. Juli, um 15 Uhr im Historischen Rathaussaal) eine eifrige Debatte über dieses "große Thema", so Oberbürgermeister Marcus König (CSU), geben. Denn im vergangenen Jahr, als mit verschiedenen Gedenkfeiern der 20. Jahrestag der Ermordung des Blumenhändlers Enver Simsek, dem ersten von zehn NSU-Opfern in Deutschland, begangen wurde, kam Kritik auf.
Gräueltaten von 1933 bis 45
Die Allianz gegen Rechtsextremismus in der Metropolregion forderte eine schlüssige Kultur des Erinnerns. Sie solle nicht nur die NSU-Mordserie umfassen, sondern müsse auch den Terror der Nationalsozialisten 1933 bis 45 mit einbeziehen, sagte Allianz-Vorsitzender Stephan Doll damals.
Auch die CSU-Stadtratsfraktion forderte ein "Gesamtkonzept". Und: Der kleine Platz an der Liegnitzer Straße zwischen Langwasser und Altenfurt, auf dem Enver Simsek seinen Blumenstand unterhalten hatte und an dem er erschossen wurde, solle in Enver-Simsek-Platz getauft werden.
Dem Ansinnen will die Stadt nun nachkommen, nachdem auch die Stadtratsfraktion der Linken gemeinsam mit SPD und Grünen beantragt hatte, Plätze und Straßen umzubenennen und Erinnerungstafeln an den Tatorten anzubringen. Oberbürgermeister Marcus König hatte bereits im vergangenen September Simseks Sohn Abdul-Kerim versprochen, den kleinen Platz, auf dem die Familie immer noch einen Blumenverkauf betreibt, nach seinem Vater zu benennen.
SÖR schaut sich regelmäßig um
Die Stadt werde den Platz würdig gestalten und der Servicebetrieb Öffentlicher Raum (SÖR) werde regelmäßig dort nach dem Rechten sehen und das Grün pflegen, versichert der Oberbürgermeister, der sich im Namen der gesamten Stadt bei den Opferfamilien für die grausamen Taten entschuldigt hatte.
Doch die Umwidmung der Gyulaer Straße, in der Abdurrahim Özüdogru im Jahr 2001 getötet wurde, und der Scharrer-Straße, in der Ismail Yazar 2005 ermordet wurde, wird es wohl nicht geben. Dies hatten rund 20 Initiativen, Vereine und Parteiorganisationen in einem Schreiben an das Rathaus gefordert.
Denn die Gyulaer Straße nimmt Bezug auf den Geburtsort des Vaters von Albrecht Dürer in Ungarn. Nürnbergs damaliger Oberbürgermeister Hermann Luppe hatte den Hinweis auf Dürers migrantische Wurzeln 1928 in der Weimarer Republik durchgesetzt. Und auch die Erinnerung an Johannes Scharrer, der Nürnbergs Entwicklung im 19. Jahrhundert geprägt hat, will man nicht tilgen. Diese Bezüge seien wichtig für Nürnberg, sagt Oberbürgermeister König.
Martina Mittenhuber, die Leiterin des städtischen Menschenrechtsbüros, die seit Jahren Kontakt zu den Opferfamilien hält, weist darauf hin, dass "alles, was wir an Formaten entwickeln, immer im Einklang mit den betroffenen Familien" geschehe, nichts gegen ihren Willen. Es brauche eine "kraftvolle Erinnerung", die sich in die Gedenkkultur der Stadt einreihen müsse.
Die Opfer hatten noch so viele Pläne
An allen Tatorten montiert nun die Stadt Gedenktafeln. "Wir legen Wert auf die Sichtbarkeit der Opfer", sagt sie. Die Täter erwähne man bewusst nicht. An der Liegnitzer Straße ist bereits auf Initiative der Altenfurter Kirchengemeinden eine Erinnerungstafel angebracht worden. Am Ende der Straße der Menschenrechte ist 2013 eine Stele eingeweiht worden, der erste offizielle Gedenkort für die NSU-Opfer in Deutschland.
Jetzt überlegt man, wo ein Baumgeschenk aus Zwickau, dem Ort, an dem das NSU-Kerntrio zuletzt untergetaucht gewesen war, eingepflanzt und als "wachsende Erinnerung" gedeihen kann. Viele kleine Bausteine sollen ein umfassendes Gedenken ermöglichen, dazu gehört auch, dass man an einem virtuellen Rundgang zu den Tatorten bastelt. Zudem sei es eine "gesamtgesellschaftliche Aufgabe", das Geschehene wach zu halten, betont Mittenhuber.
"Die Erinnerungskultur wird sich verändern. Und sie wird kein Ende haben", verspricht Marcus König. Er fordert abermals die Einsetzung eines zweiten NSU-Untersuchungsausschusses in Bayern, um endlich Helfer vor Ort zu enttarnen.