Ein Arzt für alle Fälle
19.03.2007, 00:00 Uhr
«Tut es dir weh, wenn ich hier drücke, Melike?» Kinderarzt Dr. Ragnar Dörrfuß tastet den Bauch der Fünfjährigen vorsichtig ab. «Aua», sagt das Mädchen leise und verzieht das blasse Gesichtchen. Dörrfuß brummt. Es hört sich zustimmend an. Der Obmann für den Notdienst der Kinder- und Jugendärzte fährt fort, das Mädchen zu untersuchen. Er hört den Brustkorb ab, sieht in den Rachen, begutachtet die Ohren.
Dann ist Melikes Bruder Mertcan dran. Der Neunjährige blickt ernst. Der Versuch, das Lächeln des Kinderarztes zu erwidern, misslingt ihm. Mertcan ist es schlecht. Genau wie seiner Schwester. Seit gestern werden die beiden Kinder von starker Übelkeit und Durchfällen geplagt. Dazu leiden sie unter starken Kopf- und Magenschmerzen.
Beruhigend fährt Leven Cebe seiner Tochter durchs schwarze Haar. Dr. Dörrfuß, fertig mit der Untersuchung, wendet sich dem Vater zu: «Ich glaube nicht, dass ihre Kinder etwas Falsches gegessen haben.» Er gehe vielmehr von einer Virus-Infektion aus. Eine klassische Magen-Darm-Grippe. Der Kinderarzt verschreibt Melike und Mertcan ein Mittel gegen die Übelkeit und entlässt sie nach Hause. Nicht ohne den Vater darauf hinzuweisen, dass es den beiden erst in ein paar Tagen deutlich besser gehen wird.
«Es ist unseren Erfahrungen nach ganz wichtig, dass die Leute einen Fahrplan haben», erklärt der Arzt. Viel zu viele gingen davon aus, dass einmaliges Einnehmen der Medizin schon eine deutliche Besserung des Zustands nach sich ziehen müsse.
Klare Hinweise nehmen ein Stück weit die Unsicherheit. Denn: Unsicherheit sei in seiner Arbeit ein großes Thema, erläutert Dörrfuß. Viele Eltern und Alleinerziehende litten darunter: «Das hat sehr zugenommen.» Seiner Meinung nach trage die Fülle an Informationen sowie der Wegfall der sozialen Bande sehr stark dazu bei: «Früher haben Omas oder Tanten bei der Kinderpflege und -erziehung Tipps gegeben, heute lebt jeder für sich.»
Deshalb wendet sich der Kindernotruf im Adcom-Center nicht nur den kleinen Patienten zu, sondern auch deren Müttern. Bei Stillproblemen zum Beispiel: «Junge Eltern sind oft völlig fertig, weil ihr Kind fast 24 Stunden am Stück ununterbrochen schreit», erzählt der Kinderarzt. «Wir beraten die Mütter in solchen Fällen, erklären ihnen nochmal, wie das Stillen funktioniert, und stellen sicher, dass dem Kind organisch nichts fehlt.»
Reine Routine
Bei Säuglingen und Kleinkindern, die sich noch nicht artikulieren können, sei es für Eltern oft schwer, die Ursachen für langanhaltendes Schreien nachzuvollziehen. Für Dörrfuß und seine Kollegen ist es «reine Routine»: «Wir haben alle so viel Erfahrung als Kinderärzte, dass wir wirklich nur sehr selten an unsere Grenzen stoßen.» Dennoch: unverzichtbarstes Instrument bei der Diagnose sei seine Intuition, sagt der Mediziner.
56 Kinder- und Jugendärzte aus Fürth, Nürnberg und Umgebung arbeiten abwechselnd im Kindernotruf. Im Winter, also von Oktober bis März, sind immer zwei Mediziner vor Ort, im Sommer ist es in der Regel nur einer. Im Durchschnitt kommen in einer Schicht, die von morgens 8 Uhr bis 23 Uhr dauert, rund 150 Kinder zur Behandlung, mit mehr oder minder schweren Beschwerden: «Wir kriegen eigentlich alles außer Unfälle mit Lebensgefahr, die kommen gleich ins Krankenhaus.» Unterstützt werden die Kinderärzte bei Bedarf von einem Chirurgen, einem Orthopäden und einem Gynäkologen. Denn der Erwachsenennotruf ist in der selben Etage gleich nebenan.
Dr. Dörrfuß wird unruhig, ihm läuft die Zeit davon. Im Wartezimmer benötigt ein Junge, dessen ganzer Körper mit Ein-Cent-Stück-großen roten Flecken übersäht ist, seine Hilfe - der Bub hat eine Penicillin-Allergie.
Die Bereitschaftspraxis für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren im Adcom-Center (Eingang Bahnhofstraße 11a) ist mittwochs von 14 bis 23 Uhr, freitags von 19 bis 23 Uhr, samstags, sonn- und feiertags von 8 bis 23 Uhr besetzt.
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