Die "Winner Zeile" im Stadtosten
Ein malerisches Straßenbild in Nürnberg-Laufamholz wurde verhunzt
28.6.2023, 13:15 UhrVor rund 200 Jahren war „Lauf am Holz“, wie es sich weiland schrieb, bereits ein großes und recht wohlhabendes Dorf von rund 250 Seelen. An dem noch überschaubaren Straßennetz reihten sich 47 Anwesen auf, darunter der Herrensitz an der Moritzbergstraße und der laut Inschrift an der Fassade 1618 erbaute Gasthof „Drei König“.
Wer von Norden ins Dorf kam, nahm die Winner Zeile. Nun könnte man meinen, hier den Teil einer uralten Landstraße ins Dorf Winn bei Leinburg vor sich zu haben (was geografisch allerdings nicht ganz hinhaut). Allein, so ist es nicht, denn die Zeile trägt ihre Bezeichnung erst seit der Eingemeindung von Laufamholz nach Nürnberg 1938.
Damals nämlich hatte man den Salat, dass es in der Stadt auf einmal zwei Gustav-Adolf-Straßen gab. Die Neubürger zogen erwartungsgemäß den Kürzeren, und so reihte sich die Winner Zeile ein in den Reigen anderer Straßen und Wege in der früheren Gemeinde ein, die fortan die Namen von Orten des Nürnberger Landes trugen.
Bauernhäuser und ein Gasthof
Zu jener Zeit waren die historischen Strukturen der Straße noch so erhalten, wie sie unsere (nachträglich kolorierte) Ansicht von circa 1910 zeigt. Der Blick schweift von der Laufamholzstraße gen Südosten in die Winner Zeile. Die alten Bauernhäuser und der Gasthof „Drei König“ stehen entweder mit ihrer Giebelfassade parallel zur Straße oder ragen mit einer Ecke in sie hinein. Es sind Bauten aus Fachwerk und Sandstein, einige davon offenbar im 19. Jahrhundert verändert und aufgestockt.
So war es auch im Falle des Hauses Nr. 15, das wir in einer aktuellen Aufnahme zeigen: 1694 als Heim und Hof eines Köblers (Kleinstbauern) errichtet, wurde es um 1850 um ein Zwerchhaus in Fachwerkbauweise, dann um die schmuckvolle Einfriedung und 1944 um eine Scheune erweitert.
Haus Nr. 6 (jeweils das zweite Haus von rechts auf unserer Vorher-nachher-Bildfolge) wurde ebenfalls im 20. Jahrhundert, vielleicht nach einem Kriegsschaden, mit einem Kniestock, einem Zwerchhaus und neuem Dach versehen und das so gelungen, dass es sich zusammen mit seinem Garten und den Nebengebäuden fraglos zu den schönsten Anwesen der Winner Zeile zählen darf.
Daneben stehen jüngere Mietshäuser, die zeigen, dass der Nürnberger Vorort in den 1910er Jahren schon einen kleinstädtischen Charakter angenommen hatte: Da ist zunächst die Nr. 4 (auf unserer alten Straßenansicht ganz rechts), ein Kleinmietshaus zu zwei Vollgeschossen, mit Ladenlokal im Parterre, einfachem Dekor und Mansarddach, das bei seinem Bau zu Beginn des 20. Jahrhunderts formal schon ziemlich antiquiert daherkam.
Einfach, aber malerisch
Ebenfalls eher konservativ nahm sich die Nr. 22 aus, ein zierliches Kleinhaus mit Klinkerfassaden, Sandsteingliederung und hoher Mansarde nebst Giebelgauben.
Eher zeitmodisch war Haus Nr. 9, ehemals Heimat der Bäckerei Sanner, mit seiner wohl originalen aufgeputzten Ladenbeschriftung, das wir im Hintergrund in der Bildmitte erblicken. Als unsere historische Aufnahme entstand, sah das Gebäude – die Gerüste belegen es – gerade seiner Vollendung entgegen.
Es ist ein typisches Beispiel der zeitgenössischen Reformarchitektur, die hier eine einfache, aber malerische Kubatur mit dem Barock anverwandten Details verbindet. Ein durchaus malerisches Straßenbild aus verschiedenen Zeitschichten also, das sich uns da zu Beginn des letzten Jahrhunderts darbot!
Kein Blick für das Umfeld
Die Winner Zeile bezeugt aber auch, dass ein lebensbejahendes Ortsbild geschützt werden will: Nachdem der Zweite Weltkrieg schon deutliche Spuren an den überkommenen Strukturen und Bauten hinterlassen hatte, bolzte man wohl in den 1960er Jahren gleich drei zwei- beziehungsweise dreigeschossige Mehrfamilienhäuser in das Ensemble (Nr. 16/18/20, 17 und 24/26), die weder mit Blick auf ihre Größe, noch ihre Gestaltung und Platzierung irgendeine Auseinandersetzung mit dem historischen Umfeld erkennen lassen.
Dass die Lernkurve für manche Bauherrn auch heute noch zu steil zu sein scheint, belegt der jüngste Neubau am nördlichen Ende der Winner Zeile: Hier hat man 2014 eine Wohnanlage „erstellt“. Lässt man den übergroßen architektonischen Platschari mit seinen drei Geschossen und Schuhschachtelkubatur auf sich wirken, so kann man sich des Gefühls nicht so recht erwehren, dass Bauherr und Planer sich so gar nicht mit dem berühmten „genius loci“ auseinandergesetzt haben.
Dass für diese merkwürdigen Gebilde auch noch der altehrwürdige (wenn auch nach 1945 stark vereinfacht wiederaufgebaute) Gasthof „Drei König“ fallen musste, schmerzt sehr viele Laufamholzer noch bis heute.
Es ist unnötig zu erwähnen, dass die Zeit nicht stehen bleibt und auch die malerischste Dorfstraße nicht in einem Zustand eingefroren bleibt. Am Ende wird es also an den Hauseigentümern hängen, ob sie ihre baulichen Schätze und grünen Oasen dem schnöden Mammon opfern oder sich selbst und ihren Mitbürgern ein Stück altes, aber liebenswertes Laufamholz bewahren.
Und dann soll’s ja durchaus auch heute noch Bauherrn und Planer geben, die moderne Baukunst schaffen und trotzdem Rücksicht auf das nehmen, was uns die Altvorderen hinterlassen haben.
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