"Ein Verlag braucht Haltung": Buchprojekt über Nürnberger Ärztin
4.5.2021, 11:30 Uhr"Meine Zelle war ein großer Garten", soll das Werk heißen, das Verleger Manfred Rothenberger herausbringen will. Seine Frau sei eine Kollegin Banu Büyükavcis, und der Fall habe ihn in den Bann gezogen. "Je mehr ich darüber erfahren habe, desto fassungsloser wurde ich."
Deswegen habe er sich auf die Suche nach einem Autor gemacht, der die Geschichte der Ärztin zu Papier bringt - und ist fündig geworden. Der 38-jährige promovierte Kunsthistoriker Marian Wild hat die Aufgabe übernommen und bereits ein langes Interview mit Büyükavci geführt.
"Skandalöser Prozess"
Rothenberger sagt, dass in seinem Verlag "Starfruit Publications" eigentlich eher Bücher über Kunst, Literatur und - wegen seiner Leidenschaft für den 1.FC Nürnberg - Sport erscheinen (etwa jüngst das Werk von NN-Redakteur Hans Böller über Club-Ikone Marek Mintal).
Doch jetzt wage er sich bewusst auf das Feld der Politik. "Ein Verlag braucht auch eine Haltung." Der Prozess gegen Büyükavci sei "skandalös" gewesen, er verstehe nicht, warum sich die deutsche Justiz hier in den Dienst der türkischen Behörden stelle und deren Terrorismus-Begriff einfach übernehme.
Strafe abgesessen
Die Türkei stuft die kommunistischen Partei TKP/ML als "terroristisch" ein und hat sie deswegen verboten. In Deutschland ist die Partei nicht verboten. Weil aber deutsche Justizminister eine sogenannte Verfolgungsermächtigung unterschrieben haben, konnte Büyükavci vom Münchner Oberlandesgericht wegen Unterstützung der TKP/ML zu einer Haftstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt werden.
Prominente Redner
Außer der Sympathie für diese Partei wird Büyükavci, die sich als Kommunistin bezeichnet, nichts vorgeworfen. Die Strafe ist zwar abgesessen, aber im Dezember hat als Folge dieses Urteils die Nürnberger Ausländerbehörde ein Ausweisungsverfahren eröffnet, dessen Ausgang noch offen ist.
Gegen dieses Verfahren richtet sich nun der wöchentliche Protest, den ver.di-Gewerkschaftssekretär Ulli Schneeweiß koordiniert und bei dem auch schon der frühere Klinikums-Vorstand Alfred Estelmann und die ehemalige SPD-Bundesfamilienministerin Renate Schmidt als Redner aufgetreten sind.
Große Solidarität
Rothenberger freut sich über die bunt gemischte Zusammensetzung der Demonstranten, auch Wild spricht davon, dass die Stadtgesellschaft hinter Büyükavci stehe. Gewerkschaftsmann Schneeweiß hat unterdessen einen Gesprächstermin mit Tobias Schmidt, Leiter des Bürgermeisteramtes, bekommen, um über den Fall zu beraten. Laut Schneeweiß habe Schmidt hier darauf verwiesen, dass das grüne Licht des bayerischen Innenministeriums fehle, die Stadt sich aber für einen Verbleib Büyükavcis einsetze. Prof. Thomas Hillemacher, Psychiatrie-Chefarzt am Klinikum Nürnberg, sei bei dem Gespräch für die Ärztin eingetreten und habe Büyükavcis fachliche Kompetenzen und ihre Beliebtheit im Kollegenkreis betont.
"Es ist ein schönes Gefühl, nicht allein zu sein", sagt wiederum die Ärztin bei der Vorstellung des Buchprojekts. Die Zeit im Gefängnis sei zwar schwierig gewesen, aber ohne diese Zeit hätte sie auch all diese Solidarität nicht erfahren, gibt sie zu bedenken. Die Ärztin berichtet, dass sie sich in der Zelle in die Werke türkischer Dichter und Literaten vertieft habe, zum Beispiel in die Schriften ihres Lieblingsautors Nazim Hikmet, der auch im Gefängnis saß.
Buch mit Kulturimplantaten
"Es gibt eine 100-jährige Geschichte der inhaftierten Journalisten und Literaten in der Türkei", sagt Wild, der Büyükavcis Lektüreliste auch für sein Buch produktiv nutzen möchte: "Es wird Kulturimplantate geben." Zudem sollen Interviews integriert werden, zum Beispiel mit Prozessbeteiligten.
"Eine Gesinnung wird abgeschoben"
Finanziert werden soll die Buchidee auch über eine Spendenaktion auf der gemeinnützigen Plattform betterplace.org, die bereits freigeschaltet ist. 8000 Euro wollen Rothenberger und seine Mitstreiter auf diese Weise zusammenbekommen, das Gesamtprojekt kostet bei einer Auflage von 500 Büchern rund 18 900 Euro. Die Spendenaktion laufe "unter der Fahne der Naturfreunde", sagt Rothenberger. Barbara Fraaß, Vorsitzende der "Naturfreunde Nürnberg-Mitte", ist stets selbst Stammgast auf den Mahnwachen.
Die "Naturfreunde" seien zwar eine Freizeitorganisation, hätten sich aber immer auch politisch positioniert und der Idee des demokratischen Sozialismus verschrieben, berichtet sie. "Es soll keine Person, sondern eine politische Gesinnung abgeschoben werden", kommentiert sie den Fall Büyükavci. Dagegen müsse man aufstehen. Das Buch soll im September erscheinen.
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